Eigentlich könnten Onlinedruckereien entspannt in die Zukunft blicken. Sie können alles drucken, haben den Vertriebskanal „Online“ verinnerlicht, liefern eine hohe Qualität bei zugleich hoher Geschwindigkeit – und das auch noch zu günstigen Preisen. Zudem haben die letzten drei Jahre gezeigt, wie extrem flexibel sie sogar in volatilen Märkten agieren können. Und doch gilt es, die Ärmel hochzukrempeln und den Anschluss nicht zu verpassen, wie Bernd Zipper auf dem Online Print Symposium 2023 erklärte. Denn die Konkurrenz kommt nicht nur aus den eigenen Reihen.
Die Liste der Probleme der heutigen Zeit ist lang – Krieg, Inflation, Energie- und Materialkosten, Fachkräftemangel – und sie betrifft nicht nur die Unternehmen der Druckindustrie, sondern alle Branchen und alle Unternehmensgrößen. Dabei hatte Bernd Zipper noch auf dem Online Print Symposium im letzten Jahr von der Resilienz, also der Widerstandskraft der Onlineprint-Dienstleister gesprochen. „Doch die Sachlage hat sich verändert“, stellte er in diesem Jahr fest. Denn obwohl die Onlineprint-Industrie gelernt habe, dass Flexibilität ein elementarer Bestandteil des Geschäftsmodells und Onlineprint zugleich der Evolutions-Reaktor der gesamten Druckindustrie weltweit ist, reiche die Parole „mit Volldampf geradeaus“ längst nicht mehr aus. „Denn ich stelle fest, dass wir als Onlineprint zwar innerhalb unserer Blase das Gefühl haben, ganz vorne dabei zu sein. Aber – pardon – im E-Commerce-Game sind wir alle keine Spitzenreiter, selbst Cimpress oder Flyeralarm nicht.“
Verliert Onlineprint den Anschluss?
Wie er das meinte? „Unsere größten Wettbewerber im Onlineprint werden künftig nicht diejenigen sein, mit denen wir uns noch heute im Markt ‚kabbeln‘, sondern die großen Online-Big-Player und Marktplätze wie Amazon und Google, die uns, was Onlinestrategien angeht, einfach um zehn Jahre voraus sind und die sich früher oder später auf die gleichen Themen setzen werden, in denen wir doch eigentlich gut sind. Schließlich haben wir es ihnen vorgelebt, was sich alles automatisieren lässt.“ Doch nun stehe Onlineprint kurz davor, den Anschluss zu verlieren, so die durchaus kritische Analyse des Fachmanns, und zwar, wenn es um die Entwicklungen geht, die besonders im Verhalten der heutigen und künftigen Kundengruppen eine Rolle spielten.
Social Commerce und Conversational Commerce verändern Denkwelten
„Wir haben ein anderes Thema; eines, das an den meisten bisher vorbeigeht, und das ist das Thema Social Commerce. Wenn wir Onlineprint besser verkaufen wollen, müssen wir uns mit Social Commerce mehr auseinandersetzen“, war sein dringender Appell. Dabei ließ Zipper auch Einwände wie „wir sind im B2B-Umfeld unterwegs“, „wir wollen High-Volume und keine Facebook-Nutzer, die Kissen bedrucken lassen wollen“ oder „die jungen Leute interessieren sich nicht für Print“ gelten. Denn, „wenn wir mehr Umsatz generieren möchten, dann müssen wir mehr darüber nachdenken, wie der Abnehmer heute und in Zukunft unterwegs ist. Wir müssen eine Abnehmerorientierung entwickeln.“ Es gehe darum, den potenziellen Kunden dort abzuholen, wo er sich aufhält und es ihm so einfach wie möglich zu machen. „Social Commerce ist das, was uns antreiben wird, und das sich über alle Branchen erstreckt“.
Das Besondere dabei sei nicht nur die Entwicklung von Social Commerce wie es unter anderem Statista oder Accenture prognostizieren, oder wie selbst B2B-Beispiele vom Schraubenhersteller Würth eindrucksvoll zeigten – das Besondere daran sei, dass sich die Rollen auf Social Media nicht mehr voneinander zu trennen sind. Denn auch, wenn jemand Manager bei einem großen Markenartikler sei, und in seiner Freizeit als Privatmensch auf Instagram, Facebook und Co. unterwegs ist, bleiben die Dinge, die er oder sie dort sieht, im Kopf.
Social Commerce – und auch Conversational Commerce als spezielle Ausprägung, die auf einen Dialog mit dem Kunden setzt – ändern Denkwelten, war sich Bernd Zipper sicher, und zwar weg von der Produktorientierung, hin zur Abnehmerorientierung. Es gelte, näher an den Kunden heranzurücken – etwa durch den Einsatz von Kommunikationsdiensten wie Messenger-Apps oder Chatbots – und durch den Einsatz von KI-Tools.
Künstliche Intelligenz stellt alles auf den Kopf
Denn auch, wenn man den aktuellen Hype um Künstliche Intelligenz rausrechnen würde, so bleibt die Erkenntnis, dass sich das Rad der Zeit nicht zurückdrehen lässt und KI-Technologien nicht wieder verschwinden. Im Gegenteil, sie sind längst angekommen und haben eine größere Kraft und ein höheres Desktruktivitätspotenzial, als viele sich vorstellen können. Künstliche Intelligenz ist es auch, die laut Zipper alle Branchen – und damit auch die Onlineprint-Welt – gehörig auf den Kopf stellen werden. Umso wichtiger sei es auch hier, „die fälligen Hausaufgaben JETZT zu erledigen, um auch in Zukunft handlungsfähig zu sein und zu bleiben“.
Was diese Hausaufgaben konkret sind? Echte Digitalisierung, eine Re-Platforming der eigenen Shopumgebung, agile Arbeitsweisen etablieren, interdisziplinäre Teams aufbauen und neue Kompetenzen entwickeln, vor allem im Umgang mit KI. „Wir können heute damit herumspielen, aber können wir damit auch Geld verdienen?“, fragte Zipper rhetorisch. „Nein, aber wir können und müssen lernen, damit umzugehen“ – und im Idealfall Geschäftsmodelle entwickeln, die sich KI zunutze machen.
Nicht ohne einen Blick in die Zahlen
Und da der Blick in die Zukunft in der Regel Hand in Hand geht mit dem Blick auf die aktuelle Situation im Onlineprint durften natürlich auch in diesem Jahr die Insights ins Innere der Onlineprint-Welt nicht fehlen. Wie zipcon consulting einschätzt, werden die online-generierten Druckvolumen auch in den nächsten Jahren steigen, in West-Europa bis 2025 sogar auf einen Anteil im Gesamtdruckvolumen von mehr als 40 Prozent. Und auch in der Betrachtung der Top 5 Onlineprinter in Deutschland – Cewe, Flyeralarm, Cimpress, Onlineprinters und Celebrate – stehen die Zeichen auf Wachstum. Nicht nur, dass die Corona-bedingte Umsatzdelle überwunden ist, die Zahlen liegen, so Zippers Einschätzung, inzwischen wieder über dem Niveau von vor der Pandemie und kratzen zusammengerechnet sogar knapp an der Umsatzgrenze von zwei Milliarden Euro. Was die Preise angeht, die Onlinedruckereien aufrufen, so spiegelt der ZOPI, der Zipcon Onlineprint Preis Index, regelmäßig die Entwicklung wider. Auch hier war vor allem über die letzten Monate zu sehen, dass die Anbieter die gestiegenen Kosten an die Kunden weitergeben – und, so Bernd Zipper bereits im letzten Jahr, die Kunden diese höheren Preise auch akzeptieren.
Ärmel hochkrempeln
Doch damit die Kurven, egal ob sie die Entwicklung der online-generierten Druckvolumen abbilden oder Umsatzzahlen, auch in Zukunft weiter nach oben zeigen können, braucht es Engagement, denn, so Zipper, der Markt schläft nicht – und Entwicklungen wie Social und Conversational Commerce oder KI sind gekommen, um zu bleiben und werden die Art und Weise verändern, wie Onlinedruckereien ihre Kunden ansprechen. Einen Grund zur Panik gebe es deswegen aber nicht, zumindest nicht für die Unternehmen, die ihre Hausaufgaben machen und sich mit den neuen Möglichkeiten und Technologien beschäftigen. Wer bereit ist, seine Denkwelten zu ändern, kann auch weiterhin der Reaktionsmotor der Druckindustrie sein.
Wer ganz genau wissen will, worum es im längst zur Tradition gewordenen Vortrag über die Trends und Entwicklungen im Onlineprint gegangen ist, der kann sich den OPS-Vortrag in voller Länge hier ansehen:
