Canva Print: Rock’n Roll oder Troja-Moment für Onlinedruckereien?

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Die australische Designplattform Canva hat etwas geschafft, das nur wenigen Unternehmen gelingt: Keine zehn Jahre nach ihrer Gründung ist sie – Stand heute – bei gut 60 Mio. Nutzern in mehr als 190 Ländern der Welt im Einsatz und damit ein echtes Schwergewicht im Design-Markt. Das gefällt auch den Investoren, die vor wenigen Tagen bereits zum zweiten Mal innerhalb eines halben Jahres frisches Geld in das Unternehmen gesteckt haben. Es wird nun mit 40 Mrd. US-Dollar bewertet, mehr als doppelt so hoch wie noch im April. Was hat Canva mit der Finanzspritze vor, und warum hat das auch Auswirkungen auf Onlinedruckereien?

Erst im April gab es für Canva eine Finanzspritze von 71 Mio. US-Dollar, Mitte September folgten in einer zweiten Kapitalerhöhungsrunde unter Leitung von T. Rowe Price weitere 200 Mio. Dollar. Jede Menge Geld also. Aber ist der Vorlagen- und Designspezialist bei vermeintlich 400.000 neuen Nutzern pro Woche wirklich auf so viel Fremdkapital angewiesen? Spekuliert wird – und das nicht erst seit einem halben Jahr -, dass das Unternehmen seinen Börsengang vorbereitet, da ist eine hohe Bewertung natürlich hilfreich. Darüber hinaus sind die Ziele ambitioniert: Bis zum Jahresende will Canva die Umsatzmarke von einer Milliarde US-Dollar knacken, was am Ende ein Vielfaches des Multiplikators 40 bedeuten würde. Außerdem soll die Mitarbeiterzahl von weltweit derzeit 2.000 im Laufe des nächsten Jahres verdoppelt werden.

Bei all den Umsatzmeldungen und jährlichen Wachstumsraten, die Canva übrigens zuletzt mit 130 Prozent bezifferte, fallen die Gewinne des Unternehmens vermutlich weniger üppig aus. Denn das ursprüngliche Geschäftsmodell hat einen Haken: Mit gut 500.000 zahlenden Kunden, nutzt nur ein kleiner Teil der Community kostenpflichtige Pro- oder Firmen-Accounts, das Gros sind noch immer Free-Accounts. Kein Wunder, dass Canva den Prozess weitergedacht und auch die Ausgabe der Designdateien in gedruckter Form für sich entdeckt hat. Der Druckservice „Canva Print“ startete in Deutschland bereits Ende 2017, aber erst in diesem Jahr hat die Entwicklung so richtig an Fahrt aufgenommen.

Denn über das Print-Partnership-Programm wird der Design-Editor der Australier derzeit in immer mehr europäischen Onlinedruckereien implementiert: Helloprint, PrintoClock und Exaprint Spanien sind bereits dabei, außerdem Tradeprint, Pressup, wheretheprintbuys – und seit Ende Juli auch Flyeralarm. Die Würzburger Onlinedruckerei ist in Deutschland sogar exklusiver Canva-Partner und will die Zusammenarbeit künftig noch ausbauen, und beispielsweise auf weitere Produktkategorien ausdehnen. „Es ist durchaus realistisch, dass wir mittelfristig zum größten Druckpartner für Canva in Europa werden“, sagte Business Unit Managerin Sandra Veenhof Ende Juli.

Ob das gelingen kann? Wie zipcon erfahren hat, hat Canva seinen Print-Partnern – die für die Editoren-Lizenz und API immerhin 5.000 Euro pro Monat plus einen Anteil am Auftragswert zahlen – vor wenigen Wochen aufgekündigt. Warum? Das lässt sich momentan nur spekulieren. Doch gibt es Indizien, die Onlinedruckereien – und nicht nur die – durchaus aufhorchen lassen sollten.

Nicht nur, dass Canva in den letzten Monaten fleißig auf „Einkaufstour“ war und sich, wie etwa mit dem österreichischen Start-Up Kaleido AI, leistungstechnisch noch umfangreicher aufgestellt hat und mit Barry Newstead seit August einen neuen Kopf für den Bereich „Ecosystem und Lead Print“ ernannt hat.

Auch was den Druck betrifft, haben sich die Australier neues Know-How ins Boot geholt, und zwar mit einer Partnerschaft mit Kornit. Der israelische Hersteller von Textildruckmaschinen wiederum hat vor einem guten Jahr den Softwarespezialisten Custom Gateway übernommen und mit KornitX eine Order-Plattform für individuelle Textilprodukte gestartet. Ob eine solche Übernahme für Kornit ausreicht, um die eigene digitale Transformation voranzutreiben? Das steht auf einem anderen Blatt. Immerhin, die Software von Custom Gateway ist etabliert und hat sich bewährt.

Canva wiederum war noch bis zum Sommer exklusiv mit Gelato verbunden. Nun ist das Unternehmen zu Kornit und Custom Gateway gewechselt. Damit liegt die Vermutung nahe, dass über KornitX in Zukunft nicht mehr nur textile Druckprodukte vertrieben werden, Canva sein Sortiment vor allem im Bereich Marketing und Massenpersonalisierung massiv ausbaut und damit aus der Textildruck- eine Commercial-Printing-Plattform wird. Diese These stellt zumindest Ludovic Martin auf, ein versierter Beobachter der Druckindustrie aus Frankreich. Und ich stimme ihm zu. Neben Fashion und Textilien on Demand, könnte das Portfolio künftig auch personalisierte Werbeobjekte, Fotoprodukte und anderes umfassen. Im Prinzip würde Canva dann große Teile des gesamten Onlinedrucks abdecken, mit Ausnahme von Beschilderung und Verpackung.

Setzt Canva also zum Frontalangriff auf Onlinedruckereien an? Je mehr sich die Designplattform in Richtung Commercial Printing entwickelt und wächst, desto mehr wird das Unternehmen selbst zur Konkurrenz für die Onlinedruckereien, die momentan immer zahlreicher den Design-Editor von Canva in ihre eigenen Shops integrieren.

Die Konkurrenz könnte, ähnlich wie das trojanische Pferd, vom Inneren heraus wachsen. Das aktuelle Paradigma, dass der Kunde auf den Shop seiner Druckerei geht, sein Design im Canva-Editor erstellt und dort drucken lässt, wird dem weichen, dass der Kunde zuerst auf Canva entwirft und danach im besten Falle auswählt, wo er das Produkt drucken lässt. Damit jedoch verbannt Canva die Druckereien an das Ende des Kaufprozesses. Sie wären nur noch Erfüllungsgehilfen, ohne wirklichen Mehrwert und mit quasi keinen Unterscheidungsmerkmalen – denn seien wir mal ehrlich: Abgesehen vom Preis bleibt in dieser Situation kaum noch etwas übrig, um sich von der Konkurrenz abzuheben. Die Druckerei wäre dann nur noch Subunternehmer und anonymer Händler. Das kommt Ihnen irgendwie bekannt vor? Kein Wunder, schließlich macht es Amazon im Grunde ganz genauso.

My Take: Ob Flyeralarm unter diesen Vorzeichen realistische Chancen hat, zum größten Druckpartner für Canva in Europa zu werden, das ist fraglich. Denn im Zweifelsfall wird der größte Druckpartner für Canva in Europa Canva selbst sein. Und jetzt kommt das Aber: Denn hat Canva wirklich genügend Reichweite, Macht und vor allem Marktkenntnis, um es mit den großen, etablierten Onlinedruckereien auf diese Art und Weise aufzunehmen? Das bleibt abzuwarten.
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Die australische Designplattform Canva hat etwas geschafft, das nur wenigen Unternehmen gelingt: Keine zehn Jahre nach ihrer Gründung ist sie – Stand heute – bei gut 60 Mio. Nutzern in mehr als 190 Ländern der Welt im Einsatz und damit ein echtes Schwergewicht im Design-Markt. Das gefällt auch den Investoren, die vor wenigen Tagen bereits zum zweiten Mal innerhalb eines halben Jahres frisches Geld in das Unternehmen gesteckt haben. Es wird nun mit 40 Mrd. US-Dollar bewertet, mehr als doppelt so hoch wie noch im April. Was hat Canva mit der Finanzspritze vor, und warum hat das auch Auswirkungen auf Onlinedruckereien?
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Beyond-Print.de

Gründer und CEO von zipcon consulting GmbH, einem der führenden Beratungsunternehmen für die Druck- und Medienindustrie in Mitteleuropa. In den unterschiedlichsten Kundenprojekten begleiten der Technologie- und Strategieberater und sein Team aktiv die praktische Umsetzung. Er entwickelt Visionen, Konzepte und Strategien für die im Printerstellungsprozess beteiligten Akteure der unterschiedlichsten Branchen. Seine Fachgebiete sind u.a. Online-Print, Mass Customization, Strategie- und Technologie Assessment für Print, sowie die Entwicklung neuer Strategien im Print- und Mediaumfeld. Bernd Zipper ist Initiator und Vorsitzender der Initiative Online Print e.V. und neben seiner Beratertätigkeit Autor, Dozent sowie gefragter Referent, Redner und Moderator. Seine visionären Vorträge gelten weltweit als richtungsweisende Managementempfehlungen für die Druck- und Medienindustrie. (Profile auch bei Xing, LinkedIn).

Discussion2 Kommentare

  1. Benötigt Canva den überhaupt Marktkenntnisse aus der Druckbranche für den nächsten großen Schritt? Bei den Umsatzzahlen ist Canva heute bereits in der Lage das fehlende knowhow einfach einzukaufen, samt Maschinenpark.

    • Bernd Zipper

      Tja. So wird ja gedacht. Aber wie immer ist die Tücke im Detail. „So-einfach-mal-drucken-ist-ja-ganz-einfach“ hat schon so manchen großen Player an den Rand der Verzweiflung gebracht. Schaun wir mal.

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