Cloud-Computing: Kampf gegen das innere Gefühl

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Mindestens 1,5 Millionen Jahre lang trainiert die Menschheit die eingängige eBay-Werbeformel: drei, zwei, meins! Beute machen!, das ist, was über gewaltig lange Zeiträume das Glück der Homiden war, ob sie nun eher nach Neandertaler oder homo sapiens aussahen. Beute machen, in die Höhle oder Hütte schleppen, es verteidigen, allenfalls mit der Familie bzw. Sippe teilen.

Genau so, wie die Menschen vor hunderttausenden von Jahren schon lebten, sind heute Firmen organisiert. Büros als Höhlen (selbst architektonisch kein Unterschied zur Vorzeit), das Unternehmen als Sippe – impertinent massive Motivationsprogramme beschäftigen sich ausschließlich damit, Mitarbeiter geistig auf das Company-Mindset zu trimmen. „Wir sitzen doch alle im gleichen Boot“. Zäune errichten, Terretorien verteidigen, Märkte erobern – nicht umsonst ist Marketing-Sprache eine Kriegssprache. Das „haben wollen“ ist uns genetisch eigen, der Mensch kann gar nicht anders.

Wäre und wollt er anders, wird er von den Mitmenschen religiös überhöht verehrt. Asketen und Erleuchtete verzichten auf Besitz; taten es die Mönche einst mit Inbrunst, wurden sie garantiert bald zu Seligen und Heiligen erklärt. Um den Sprung schmerzend-schrill zu machen: es ist gerade ein paar Wochen her, da war Raffen, gierig Beute machen, Heuschrecken-Gebaren an der Börse noch Ehrensache und fein, ja, das Ziel kapitalistischer Intelligenz schlechthin. Geld horten – wenigstens auf theoretischen Konten – und Buchwerte schaffen war Königsdisziplin. 3 Millionen, 2 Milliarden – meins!

Und jetzt kommt Cloude-Computing. Daran gemessen sind mittelalterliche Bettelmönche ja noch reiche Hof-und-Gut-Besitzer; immerhin hatten sie noch eine Zelle, eine Bibel, eine Kirche zur Verfügung. Der Cloude-Computer-Mensch: ein einfaches, möglichst wohl noch ein zufälliges, in jedem Fall billiges Gerät (jemand sagt wortwörtlich: „Es muss gerade mal mit Ach und Krach ins Internet kommen können. Mehr nicht.“), eben ein Internet-Anschluss, der bei den heutigen Flatrates auch erbettelt sein darf („kann ich mal eben bei Dir …., was hasste für‘n Paßwort ….?), – und ansonsten nur ein Account bei einem ASP, einem Application Service Provider. Da klinkt man sich dann ein. Von der Sorte ASP gibt es die Guten und die Besseren. Die guten bieten Standard-Software für ganz kleines Geld an, nicht selten für Nulltarif (noch). Die Besseren spezifische Programme, die sonst ein „Schweinegeld“ kosten würden auf pay-per-use-Basis oder einer milden Flatrate, man hat also eine Computerausstattung vom Feinsten „auf Pump“. Ist orts-, geräte-, plattform-,server- und auch sonst völlig unabhängig. Und vom Internet so abhängig wie von der Luft, die man zum Atmen braucht. Ist sie mal für ein paar Minuten weg, ist man tot. Ist das Internet nicht verfügbar, ist man tot.

Die Daten – irgendwo. Die Programme – bei irgendwem. Die Bezahlung – irgendwie. Alles ist ungefähr, ungenau, unfassbar. Nie wurde ein klareres Symbol für dieses Nebulöse gewählt: die Wolke, die keine Sekunde unverändert bleibt, ungreifbar über allem schwebt, höchst reale Scherze mit uns Erdenbürgern treibt, und mal schön, mal hässlich, mal willkommen-labend, mal zerstörerisch-katastrophal sein kann. In jedem Fall ist sie das Gegenteil von einer drei-zwei-meins-Höhle, von Beute, von terretorialem Besitzanspruch.

Aber vielleicht vollzieht sich ja ein radikaler genetisch-kultureller, sozial-gesellschftlicher Wandel wie noch nie auf der Welt. Schon heute vertrauen junge Menschen vorwiegend sozialen Netzwerken Daten an, in Qualität und Menge, in Offenheit und Leichtsinnigkeit, bei denen (ältere) Daten-Schützer reihenweise in Ohnmacht fallen. Früher hat man gehört, in Dörfern, wo jeder jede kennt, sei es üblich gewesen, einfach einen Besen vor die Tür zu stellen, wenn man nicht zu Hause ist – und die Türe offen zu lassen. Was von jedem respektiert wurde. Heute stellt man seine Identität vor die Internet-Haustüre und lässt ganze Bildgalerien, persönliche Daten, Dateien-Bibliotheken oder im Wege der peer-to-peer-Tauschbörsen praktischerweise die gesamte Festplatte offen. Man zählt rückwärts: eins, zwei, allle! Allen alles! Man verschenkt und verschleudert Daten großzügiger als der Prinz Kamellen im kölschen Karneval. Da sind nicht nur Scheunentore geöffnet, da sind alle Wohnhöhlen aller Neandertäler dieser Welt geöffnet … weit, weit, weit.

Vielleicht deshalb ist Cloud-Computing wirklich zeitnerv-treffend. Es vervollkommnet, was längst schon Realität, viel mehr als nur Trend ist. Es führt ein, was der Kommunismus wollte, aber nicht schaffte: das Gemeineigentum in seiner reinen Form. Vielleicht ist Cloude-Computing ja nichts anderes als das missing link zur Vollkommenheit: vom globalen Dorf zur globalen Höhle. Wir sind keine lokalen Sippen, wir sind die globale Sippe, zu Ende gedacht derzeit 6,5 Milliarden „alle in einem Boot“-Sitzleute, einem Boot namens Welt. Die Hölle Datennetz wird zur Höhle Datenschatz. Wir raffen, indem wir uns vernetzen und alles verteilen. Indem wir wegschenken, werden wir überreichlich belohnt und beschenkt. Womit wir wieder bei frommen Philosophien wären: Geben ist seliger denn nehmen.

Fehlt noch, dass es jetzt blasphemisch wird und der auf Wolken schwebende Gottvater auf Michellangelos berühmten Deckenfresko der vatikanischen Sixtinischen Kapelle mit seiner Fingerspitze deshalb die von Adam berührt, weil die Botschaft darin lautet: Ich schenke Dir die ganze Welt mit einem Fingertip.

Denn: Microsoft hat soeben erklärt, die Zukunft der Computer sei auch deshalb Cloud-Computing, weil es immer mehr Touch-Screens geben wird: zu bedienen, wie Urvater Adam im iPhone-Paradies es seit kurzem schon tut.

Na dann. Die Menschheit ist da angekommen, wo sie herkommt. Im und aus dem Nichts. Ich hoffe nur, meine Wolken dieser Prophezeihung verziehen sich wie alle anderen auch und lösen sich in nichts auf.

Nichts. Ein anderes Wort für Cloude-Computing. Leute, ich will meine Höhle wiederhaben. Ich will Beute jagen, ich will, ich will, ich will drei, zwei meins. Gruß an Euch alle, Ihr dort auf Computerwolke 7.

Gründer und CEO von zipcon consulting GmbH, einem der führenden Beratungsunternehmen für die Druck- und Medienindustrie in Mitteleuropa. In den unterschiedlichsten Kundenprojekten begleiten der Technologie- und Strategieberater und sein Team aktiv die praktische Umsetzung. Er entwickelt Visionen, Konzepte und Strategien für die im Printerstellungsprozess beteiligten Akteure der unterschiedlichsten Branchen. Seine Fachgebiete sind u.a. Online-Print, Mass Customization, Strategie- und Technologie Assessment für Print, sowie die Entwicklung neuer Strategien im Print- und Mediaumfeld. Bernd Zipper ist Initiator und Vorsitzender der Initiative Online Print e.V. und neben seiner Beratertätigkeit Autor, Dozent sowie gefragter Referent, Redner und Moderator. Seine visionären Vorträge gelten weltweit als richtungsweisende Managementempfehlungen für die Druck- und Medienindustrie. (Profile auch bei Xing, LinkedIn).

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