ChatGPT, Midjourney und Dall-E füllen seit Ende letzten Jahres nicht nur gefühlt alle Medienkanäle, sondern stellen auch gelernte Wahrheiten darüber, was durch Menschen und was durch Technik geschaffen wurde, gehörig auf den Kopf. Logisch, dass Künstliche Intelligenz auch auf dem Online Print Symposium 2023 nicht fehlen durfte. Für die Keynote holten die Veranstalter mit Journalist und Fachautor Jörg Schieb einen echten Digitalexperten auf die Bühne.
175 Milliarden Parameter: Mit dieser Datenmenge an Texten aus Blogs, Artikeln, Nachrichten, Tweets und öffentlich zugänglichen Büchern wurde das Sprachmodell ChatGPT3 trainiert. Das sind, wie Digitalexperte Jörg Schieb auf dem OPS beschrieb, 754 GB Text – oder umgerechnet 376 Mio. Seiten Papier, die aufeinandergestapelt 3 km hoch und 1.282 Tonnen schwer wären. „All diese Texte werden angeschaut und in sogenannte Tokens zerlegt – die wie im Gehirn wieder miteinander verbunden und verknüpft werden“, erklärte der Experte. „So entsteht tatsächlich ein neuronales System. Die Wörter und Tokens, oder sogar Teile von Wörtern werden gewichtet, sie werden miteinander verknüpft und bilden die Parameter.
Bei ChatGPT4, der neuesten Version der wohl bekanntesten KI-Anwendung, hat sich diese Datenmenge noch einmal vergrößert, und zwar auf für uns kaum mehr vorstellbare Hundert Billionen. „Wir haben hier eine Vertausendfachung von Wissen. Es ist abenteuerlich, wie schnell das gerade vorangeht“, so Schieb.
In seiner Keynote auf dem Online Print Symposium 2023 fasste Schieb die wichtigsten Fakten rund um ChatGPT – und auch andere Künstliche Intelligenzen – zusammen und half dabei, die Entwicklungen einzuordnen. „Wir erleben gerade regelrecht einen Gutenberg-Moment, mindestens. Gutenberg hat die Druckerpresse zwar nicht erfunden, aber zumindest marktreif gemacht und damit die Art und Weise, wie Informationen verbreitet werden, nachhaltig verändert. Damit möchte ich das mindestens vergleichen, was ChatGPT – und vergleichbare Chatbots – an Veränderung bringen werden. Wir sollten das wirklich nicht unterschätzen und kleinreden“, stellte er fest. „Das ist auch keine Mode. Das ist etwas, das bleibt, davon bin ich überzeugt.“
Mehr als Textgenerierung
Was bereits alles mit ChatGPT möglich ist, das zeigte Schieb auch anhand verschiedener Beispiele, natürlich nicht ohne zuvor auch beim Publikum nachzufragen, wer sich bereits ausprobiert hat. Neben der Texterstellung an sich, egal ob kurz oder lang, oder der Hilfe bei der Vortragsvorbereitung oder bei Programmiercodes, sei eines an der Künstlichen Intelligenz besonders spannend, nämlich, dass ChatGPT offen ist. „Es gibt eine Programmierschnittstelle, die jeder benutzen kann, der dafür bezahlen mag, und alles Mögliche auf die Technologie ‚draufpacken‘ kann. Die erhaltenen Antworten zu synthetisieren und in eine Sprachausgabe umzuwandeln und von einem ebenso künstlich erzeugten Avatar wiedergeben zu lassen, sei kein Problem, wie er direkt mit einem eigenen Beispiel zu Beginn seines Vortrags bewies. „ChatGPT selbst hat noch keine Sprachausgabe, aber das ist nur eine Frage der Zeit“, ist er sich sicher. Und auch das Übersetzen von Texten erledigt das Sprachmodell in Sekundenbruchteilen, denn es beherrscht inzwischen mehr als 190 Sprachen.
ChatGPT versteht Zusammenhänge
Und es kann, wie Jörg Schieb weiter erklärte, noch mehr, zumindest wenn man sich ChatGPT4 genauer ansehe, denn nicht nur, dass die neue Version auf einer deutlich größeren Datenmenge basiert – es sei auch imstande, Bilder zu verarbeiten und deren Inhalte zu verstehen. Es ist damit, im Gegensatz zur Vorgängerversion ChatGPT3, ein multimodales Modell. „Da geht es nicht um die Frage, ‚was siehst du auf dem Bild?‘ – das können Künstliche Intelligenzen schon lange beschreiben“, so Schieb. Vielmehr geht es um die Zusammenhänge der abgebildeten Bildelemente. „Es ist der Knaller, weil das System tatsächlich versteht, was in dem Bild steckt und das mit all dem, was es bis dahin gelernt hat, in Verbindung bringt.“
KI denkt nicht, KI berechnet Wahrscheinlichkeiten
So beeindruckend das Thema Künstliche Intelligenz auch sei, es dürfe dabei eines nicht vergessen werden, erklärte der Digitalexperte aber auch: „Nur weil in KI das Wort Intelligenz steckt, glaubt man, ChatGPT könne denken. Aber das System denkt nicht. Es berechnet Wahrscheinlichkeiten. Das ist wichtig im Kopf zu behalten. ChatGPT analysiert. Wenn Sie also eine Frage stellen, weiß ChatGPT die Antwort nicht, sondern es berechnet die Wahrscheinlichkeit, was sie mit der Frage gemeint haben und was die wahrscheinlich richtigen Antworten darauf sind. Das wird auch immer besser, weil die Systeme ja zusätzlich lernen.“
Offene Fragen
Doch das wiederum wirft natürlich auch Fragen auf, die es künftig noch zu klären gibt. Beispielsweise, wer bestimmt, was das System lernt und wie genau diese Lerninhalte kontrolliert werden, oder von wem. Denn: „Nur das, was trainiert wird, kann das System auch wissen. Wenn Sie das System nur Märchen trainieren lassen, wird es kein Sachbuch schreiben können und umgekehrt“, so Schieb. Eine andere Frage sei zudem die, wer in Zukunft bestimmt, was ein System eigentlich als Antwort ausspucken darf und was nicht. „Da kommen noch ganz viele Herausforderungen auf uns zu – und zwar auf allen Ebenen.“
Medienkompetenz ist gefragt, Angst aber nicht
Die weit verbreitete Sorge, dass Künstliche Intelligenzen künftig die Arbeit der Menschen übernehmen werden, konnte Jörg Schieb auf dem OPS aber zu großen Teilen ausräumen. Denn ChatGPT und Co. könnten vor allem eines: uns wunderbar unterstützen. Sicher gebe es Arbeitsplätze, die die KI auch komplett ersetzen werde – darum seien alle aufgerufen, die neuen Möglichkeiten intelligent zu nutzen. In der Druckindustrie könne man die Intelligenz beispielsweise ganz spezifisch auf fachliche Fragen trainieren und so den Kundensupport ausbauen und dafür auf der „menschlichen“ Mitarbeiterseite Kapazitäten für die echten, kreativen Aufgaben freimachen.
Entsprechend fiel Schiebs Resümee auch trotz aller offenen Fragen eher optimistisch aus: „Wenn man Chatbots und KI als Werkzeug betrachtet und nicht als Bedrohung, dann kann es nützlich sein. Es kann mich an Dinge erinnern, es kann meine Gedanken sortieren, es kann ein Sparringspartner sein. Was es nicht sein kann, ist kreativ, humorvoll, schöpferisch. Es kann nicht etwas wirklich Neues erschaffen. Es kann zwar Bilder zusammenstellen, die manche als kreativ bezeichnen – ICH würde sie vielleicht eher als beeindruckend oder ästhetisch bezeichnen, aber nicht unbedingt als kreativ. Weil sie ja das Ergebnis sind aus einer Sammlung dessen, was die Systeme vorher gelernt haben. Das gilt für die Texte genauso wie für Bilder. Doch es kann keine komplett neuen Gedanken erschaffen. Es basiert immer auf dem, was wir Menschen vorher erstellt haben. Das bedeutet, wenn wir Menschen entlastet werden von KI, die immer mehr lästige Routine-Aufgaben übernimmt und wir damit mehr Kreativität haben können, dann ist es eine gute und sinnvolle Technologie. Und das können wir sicher auch in Unternehmen umsetzen“.
Wer die OPS-Keynote von Digitalexperte und Fachautor Jörg Schieb in voller Länge und mit allen Einzelheiten – Stichwort Turing-Test und die Sorge von Google – nachschauen will, der kann sich hier die Videoaufzeichnung anschauen:
