Die Heidelberger Druckmaschinen AG übernimmt das Software-Start-up Crispy Mountain, das mit Keyline eine cloudbasierte Managementplattform anbietet. Die Übernahme sei Teil der Strategie, den Ausbau digitaler Geschäftsmodelle weiter voranzutreiben.
Keyline ist als Management-Informations-System (MIS) für die Druckindustrie bereits seit 2015 im Markt eingeführt, für den Betrieb in der Cloud ausgelegt und bildet mit webbasierten und mobilen Technologien sämtliche Stufen der Wertschöpfungskette von Digital- und Offsetdruckereien ab. Damit können Druckbetriebe signifikant schneller kalkulieren, zuverlässiger produzieren sowie gleichzeitig Kosten senken und Fehler minimieren. Die Anwendung soll nun mit allen erforderlichen Funktionen für die Marktsegmente Commercial, Label und Packaging ausgebaut werden.
Herkömmliche MIS haben ausgedient
So weit, so gut. Das ist auch schon von anderen publiziert worden. Wir haben uns allerdings gefragt, was Heidelberg wirklich mit Crispy Mountain vor hat? Denn ein MIS (so nennen sich ERP-Systeme seltsamerweise in der Druckindustrie) hat Heidelberg mit dem Prinect Business Manager bereits. Dieser basiert auf der Technologie des belgischen Softwareherstellers CERM, den Heidelberg Anfang 2011 erworben hatte, und dessen Know-how als integriertes MIS innerhalb der Prinect Workflow-Lösung etabliert wurde. Der Business Manager organisiert die Auftragsabwicklung und kaufmännischen Prozesse einer Druckerei, ermittelt den günstigstes Produktionsweg und errechnet ein Angebot. Warum also dann ein zweites MIS?
Die Antwort ist vergleichsweise einfach: MIS herkömmlicher Art haben ausgedient. Die Zeiten dicker Aufträge mit opulenten Margen sind weitestgehend vorbei, das Kundenverhalten hat sich verändert, die Nachfrage sinkt, die Kosten steigen – und die Luft wird dünner. Trends wie Digitalisierung und Individualisierung führen zu einer wachsenden Zahl an Aufträgen bei gleichzeitig kleiner werdenden Auflagen – für viele Druckhäuser ein Teufelskreis.
Mit tradierten Prozessen und lieb gewonnenen Abläufen ist dieser Situation allerdings nicht beizukommen, schließlich ist der Verwaltungsaufwand eines Auftrages nicht von dessen Auflage abhängig. Und das Geld wird in Druckereien heute nicht mehr über die Auflage verdient, sondern in den Prozessen vor und nach dem Druck, in Vorstufe, Finishing und Logistik. Druckereien müssen sich also intensiv damit beschäftigen, ihre Aufträge mit höchster Effizienz abzuwickeln.
Das leisten traditionelle Management-Informations-Systeme nicht, weil sie mit Funktionen überfrachtet sind, die im Laufe der Zeit als wichtige Anforderung an die klassischen MIS-Anbieter herangetragen wurden. Diese haben auch alles umgesetzt und in ein einziges System gepackt. So sind Software-Kolosse entstanden, die höchst komplex und unglaublich schwer zu bedienen sind.
Angesichts der vielen kleinvolumigen Aufträge sind diese MIS aber nicht mehr zeitgemäß und flexibel genug. Und vor allen Dingen mangelt es den MIS an Offenheit für die Integration mit anderen Applikationen oder Maschinen – von Lösungen in einer Cloud-Umgebung und browserbasierten Anwendungen ganz zu schweigen.

Ereignis-gesteuerte Prozessketten gestalten
Genau das aber, Offenheit und Integrationsfähigkeit, bietet Keyline von Crispy Mountain. Keyline nutzt aktuelle IT-Technologien wie die Cloud und leistungsfähige Schnittstellen für mögliche Erweiterungen. Und das Team um Matthias Prinz, Geschäftsführer von Crispy Mountain, verfolgt völlig neue Ansätze: „Wir nähern uns der Thematik von der Produktion her und gehen rückwärts in die Kalkulation, ins Lagermanagement und in die Logistik. Keyline ist das Datenrückgrat einer modernen Druckerei – zukunftsfähig durch eine offene Cloud-Architektur und so einfach zu bedienen wie Apps, die wir in der Freizeit nutzen“, beschrieb Prinz die Charakteristik der Software im Interview mit beyondprint im Oktober letzten Jahres.
Keyline sendet ständig Informationen in Form sogenannter „Events“, etwa dann, wenn Objekte angelegt, verändert oder gelöscht werden. Eine App kann diese aufgreifen und Prozesse und Workflows anstoßen. So können Ereignis-gesteuerte Prozessketten gestaltet und Abläufe automatisiert werden. Zudem bietet der Keyline AppStore ein wachsendes Angebot von Apps für die einfache und schnelle Integration von Keyline mit Applikationen und Maschinen. Diese Integrationsfähigkeit ist eine tragende Säule der Keyline-Philosophie.
Keyline wird dabei kontinuierlich und agil weiterentwickelt. Es gibt nicht alle paar Jahre ein riesiges kostenpflichtiges Release, sondern tägliche Updates. Dabei fließt fortlaufend das Feedback der Kunden ein. Und da Keyline eine Cloud-basierte Software ist, stehen die Verbesserungen automatisch allen Nutzern zur Verfügung.
„Es hätte mich auch gewundert, wenn Crispy Mountain mit seinen innovativen Ideen und seiner agilen Vorgehensweise nicht schnell zum Objekt der Begierde geworden wäre.“ – Bernd Zipper
Heidelberg wiederum stellt den Verkauf einzelner Softwarelizenzen derzeit schrittweise auf ein nutzungsorientiertes Subskriptions-Angebot um. Das Softwaregeschäft wird auf Cloud-Technologien und ihre an der Nutzung orientierte Wertschöpfung ausgerichtet. In diesem Zusammenhang bietet Heidelberg alle Prinect-Module im Abonnement als Software-as-a-Service an.
Mainz hilft Heidelberg
Und jetzt sollte es eigentlich „Klick“ machen. Schließlich hat das Heidelberg-Management mehrfach angedeutet, ein globales und digitales Ökosystem in Form einer eigenen Plattform etablieren zu wollen. „Die Übernahme von Crispy Mountain ist für Heidelberg ein weiterer Schritt in den Ausbau von cloud- und nutzungsbasiert abzurechnenden digitalen Anwendungen“, wird der Heidelberg-Vorstand Prof. Dr. Ulrich Hermann in der Pressemitteilung zur Übernahme des Mainzer Unternehmens zitiert. „Mit dem qualifizierten Team und den Lösungen von Crispy Mountain beschleunigen wir unsere Entwicklungen rund um unsere neue Branchenplattform HEI.OS.“
Diese Plattform (den Namen HEI.OS hatte Heidelberg übrigens bisher nicht öffentlich gemacht) soll für alle Hersteller der Druckindustrie offen sein und Druckereien damit einen Zugang zu verschiedenen Services bei möglichst geringem Verwaltungsaufwand ermöglichen. Drittanbieter sollen über die Plattform Angebote für Druckereibetriebe schnüren können und Druckereien über einen App-Store eine Vielzahl von Anwendungen beziehen können.
Wie das im Detail aussehen soll? Wissen wir nicht, wir bleiben aber dran.
My Take: Es hätte mich auch gewundert, wenn Crispy Mountain mit seinen innovativen Ideen und seiner agilen Vorgehensweise nicht schnell zum Objekt der Begierde geworden wäre. Zwar ist das Umstellen von klassischen Systemen mit Client-Server-Architektur zu browserbasierten Systemen keine Tagesreise, dafür aber umso wichtiger für die digitale Transformation. Wenn Heidelberg die Übernahme von Crispy Mountain als strategischen Schritt auf dem Weg zur digitalen Industrieplattform bezeichnet, ist es also mehr als nur die Verstärkung des Teams. Crispy Mountain bringt wichtige Kompetenzen und neues Denken bei den Entwicklungsprozessen mit, sodass der ambitionierte Plan eines eigenen Ökosystems erreichbar scheint. Und ganz nebenbei hat Heidelberg jetzt auch einen Fuß beim Transformationsprojekt OctoBoost von Sappi in der Tür.
