Diese Übernahme hat das Zeug dazu, für einen „Big Bang“ in der Druckindustrie zu sorgen: Denn nachdem sich zuletzt viele Diskussionen um die Designplattform Canva und ihr „Anbandeln“ mit den großen Onlinedruckereien drehten, hat Cimpress mit Crello und Depositphotos gerade ein ebenso mächtiges Gestaltungstool und noch dazu eine international bekannte Marke für Stockfotos und -videos übernommen. Damit hat er also begonnen, der Kampf um die Design-Hoheit im Web-to-Print.
Um Flyer, Broschüren oder Speisekarten zu gestalten, die hip und modern aussehen, muss man kein Grafikdesigner mehr sein. Man muss sich nicht einmal mit Photoshop oder Affinity Photo auskennen. Denn Designplattformen wie Canva oder Crello machen mit ihren tausenden Templates, Font-Vorlagen und Voreinstellungen ambitionierten Hobbygrafikern, Influencern und Kreativ-Einsteigern ohne Vorkenntnisse das Leben, oder besser gesagt, das Designen leichter.
Crello wurde 2016 von dem ukrainischen Kreativkopf Dmitriy Sergeev gegründet und ist damit knapp drei Jahre jünger als sein aus Australien stammendes Pendant Canva. Dieser zeitliche „Vorsprung“ spiegelt sich auch in den Zahlen wider: Crello bietet, Stand heute und seiner Webseite zufolge, mehr als 50.000 Templates an, Canva hingegen über 420.000. Crello zählt mehr als sieben Millionen Nutzer, Canva gibt 60 Mio. an. Crello ist in 16 Sprachen verfügbar, Canva in 100.
Fragt sich: Ist das ein Kampf David gegen Goliath? Oder wer ist hier eigentlich wer?
Warum die Nachricht der Übernahme durch Cimpress trotzdem ein „Big Bang“ ist? Ganz einfach. Es geht nicht darum, wie umfangreich die Designplattform mit ukrainischen Wurzeln heute ist, sondern was aus ihr werden kann und wird – vor allem mit einem Partner wie Cimpress an der Seite.
Und nicht nur das, schließlich hat Cimpress nicht nur Crello übernommen, sondern auch Depositphotos. Der Stock-Footage-Anbieter mit Hauptsitz in New York, USA, startete 2009 als klassische Bilddatenbank, bietet heute aber auch Animationen sowie Video- und Musik-Footage-Material an. Mehr als 220 Millionen Dateien hat Depositphotos auf „Lager“, um noch eine Zahl zu nennen. Die Marke bedient Kunden in 192 Ländern, ist in 20 Sprachen verfügbar, baut auf einem wachsenden Netzwerk von mehr als 100.000 Content Creators auf – und wurde von Dmitriy Sergeev gegründet. Richtig, derselbe Unternehmer, der 2016 auch Crello ins Leben gerufen hat. Denn: Crello ist eine Marke von Depositphotos.
Depositphotos beschäftigt mehr als 300 Mitarbeiter weltweit und hat Niederlassungen in New York, Mailand, Kiew, Limassol, Moskau und Warschau. Das Crello-Team bringt zusätzlich mehr als 100 Mitarbeiter mit, vom Head Office in Limassol, Zypern bis zum Entwicklerteam in Kiev, Ukraine.
Die Designplattform heißt nach der Übernahme durch Cimpress übrigens VistaCreate, während die Marke Depositphotos beibehalten werden soll. Vice President beider neuer Business-Einheiten wird Vadim Nekhai, der schon zuvor als CEO für Crello und auch Depositphotos verantwortlich war. Die Marke VistaCreate ist in erster Linie für die Do-it-Yourself-Anwendungen von Vistaprint geplant, wie man aus verschiedenen Quellen erfährt.
Beziehungen statt reine Auftragsgenerierung
Mit der Übernahme der beiden Unternehmen bzw. Marken kann Cimpress also künftig auf ein ganzes Universum an Multimedia-Dateien, Templates und Know-how zurückgreifen und Synergien nutzen. Es sei, so heißt es aus Cimpress-Kreisen, ein wichtiger, strategischer Schritt in Richtung Do-it-Yourself-Design (DIY) für soziale Medien und andere Formate des digitalen Designs.
Und wer Cimpress kennt, weiß, dass die Entwicklung in Richtung DIY- und Digital-Design im Prinzip nur folgerichtig ist: Mit Vistaprint hat der Konzern bereits vor 20 Jahren browserbasierte Designvorlagen und -Tools angeboten und es damit auch kleineren Unternehmen ermöglicht, sich mit individuell gestalteten Werbematerialien professionell nach außen zu präsentieren. Dieser Anspruch ist, wie wir alle im WWW live mitverfolgen können, über die Jahre hinweg gewachsen – auch über die Grenzen von reinen Printprodukten hinaus. Die Nachfrage nach Lösungen für soziale Medien, Videos oder andere digitale Anwendungen steigt kontinuierlich, Postings und andere digitale Designaufgaben werden in einer ganz anderen Größenordnung benötigt als physische (Print-)Produkte.
DIY, CRMagic, DIWH – Was hat Cimpress nun vor?
Ein gut durchdachtes „Do-it-Yourself-Studio“ für digitales Design, das sich nahtlos in die Tools von Cimpress für die Kreation physischer Produkte einfügt, könnte daher gleich mehrere Fliegen mit einer Klappe schlagen. Es würde nicht nur die geänderten Kundenbedürfnisse bedienen, sondern durch das Abo-Modell Beziehungen zum Kunden aufbauen, statt „nur“ Transaktionen zu generieren. CRMagic nennt Cimpress diesen Ansatz, „Customer Relationship Magic“, der zusammen mit kundenzentrierten, unterstützenden Services („Do It With Help“, kurz DIWH) bei VistaCreate verfolgt werden soll. Mit diesem neuen Geschäftsmodell ließen sich außerdem eine Reihe neuer Kunden gewinnen.
VistaCreate soll außerdem nicht nur Endkunden zur Verfügung gestellt werden, die über die Cimpress-eigenen Plattformen ihre Designs nun ganz ohne Hürden erstellen können. Profitieren sollen auch Partnerunternehmen und andere Onlinedruckereien. Aber: In welchem Preissegment Cimpress ihnen das Tool anbieten wird, ist noch nicht bekannt. Im Sinne einer schnellen Marktdurchdringung wäre es meines Erachtens nach durchaus ratsam, die Einstiegshürden so niedrig wie möglich zu gestalten – schon allein, um ein preisliches Gegenmodell zu Canva aufzubauen.
Mit der Akquisition von Crello und Depositphotos allein ist es aber längst nicht getan: Cimpress will eigenen Angaben zufolge auch noch einmal massiv in den Ausbau der Möglichkeiten von VistaCreate investieren. Das Ziel dabei scheint klar: Canva nicht nur einholen, sondern besser sein. Den Abstand zum australischen Wettbewerber vergrößern. Durch diesen Schritt wird sich mancher Onlineprinter, der nicht nur eine Gebühr für den Einsatz des Canva-Editors bezahlt, sondern Canva auch prozentual am Druckumsatz beteiligen muss, einen schnellen Wechsel überlegen. Ein kluger Move…
Der Design-Markt konsolidiert sich
Die aktuellen Übernahmen von Cimpress können durchaus als Reaktion auf die jüngsten Entwicklungen im Markt verstanden werden. Schließlich ist es noch nicht mal ein halbes Jahr her, dass zahlreiche europäische Onlinedruckereien stolz verkündeten, die Designplattform Canva in ihre Shops integriert zu haben. Entsprechend dürfte die Nachricht von Cimpress, VistaCreate und Depositphotos für ordentlich Diskussionsbedarf, wenn nicht sogar Sprengstoff im Markt sorgen. Die Karten werden neu gemischt.
Denn was den Markt für Design und Kreation nach dem Do-it-Yourself-Prinzip betrifft, so stehen die Zeichen auf Konsolidierung. Meiner Einschätzung nach wird es damit nur noch drei relevante Größen geben, die das Zeug dazu haben, den steigenden Ansprüchen der Kunden mit Investitions- und Innovationskraft zu begegnen: Adobe, Canva – und eben VistaCreate.
Für Canva jedenfalls dürfte es ab sofort ungemütlich werden, denn kostenlose Canva-Nutzer zu zahlenden Kunden zu überführen, ist mit der Übernahme von Crello und Depositphotos durch Cimpress um einiges schwerer geworden. Außerdem: Wenn es darum geht, zusätzlich zum Design auch Druck zu verkaufen, hat Cimpress gegenüber den Australiern schlicht die Nase vorn, weil mehr Erfahrung. Und drittens: Ob Canva seine Integrations- und Printpartner, darunter Helloprint, Tradeprint oder Flyeralarm, unter den Umständen dauerhaft halten kann, ist fraglich.
VistaCreate ist modern und einfach in der Handhabung. Es richtet sich damit vordergründig an kleinere Unternehmen, KMUs und Soho-Businesses (Small Office, Home Office). Mit den Editor-Werkzeugen von Anbietern wie rissc oder Cloudlab, die in erster Linie für den Einsatz im professionellen B2B-Umfeld gedacht sind, ist die neue Designplattform allerdings nicht vergleichbar.
Und noch etwas: Im Zuge der Übernahme von Crello und Depositphotos hat Cimpress die neue große Marke „Vista“ angekündigt. Unter ihr werden künftig VistaPrint, 99designs by Vista, Vista x Wix und eben auch VistaCreate gebündelt. Damit bietet der Konzern seinen Anwendern ganz verschiedene Möglichkeiten der Gestaltung an, vom Do-it-Yourself-Prinzip“, über ein Netzwerk professioneller Designer bis hin zum klassischen Upload und Druck. „Vistas“ Haupteinnahmequelle werde aber, wie es aus dem Cimpress-Umfeld heißt, auch weiterhin der Druck und physische Produkte sein.
Das ist nachvollziehbar, immerhin soll der Umsatz von Cimpress trotz der Pandemie in den zwölf Monaten bis September dieses Jahres bei umgerechnet mehr als 2,23 Milliarden Euro gelegen haben, das EBITDA bei deutlich über 258 Mio. Euro. Das wiederum bedeutet, dass „Vista“ mit der Software eigentlich kein Geld verdienen muss. Und das gibt Cimpress jede Menge Freiheiten – ähnlich wie es schon in den 1990er-Jahren mit dem VistaStudio war, einer DTP-Software, die Cimpress damals kostenlos als browserbasierte Variante anbot.
Cimpress hat schon heute zahlreiche DIY-Lösungen im Portfolio von Vistaprint und anderen Konzern-Brands. Mit der Umsetzung von VistaCreate geht Cimpress einen logischen Schritt weiter: Es ist eine Art „Unabhängigkeitserklärung“, denn das Unternehmen wird so künftig nicht mehr von Drittanbietern abhängig sein. Das ist klug. Klug ist auch der Schritt in Richtung „Relationship-Management“, das aus dem sprunghaften E-Commerce-Kunden einen dauerhaften Nutzer macht, denn: Seine Daten liegen, sofern er die Anwendung in der Cloud nutzt, in VistaCreate – und damit auch auf der Plattform, auf der der Abnehmer sofort die Druckproduktion einleiten kann. Dass Cimpress die Anwendung ebenso Wettbewerbern zur Verfügung stellen möchte, zeigt aber noch etwas: Der Konzern denkt um… wir bleiben dran. Es bleibt spannend.
