Onlineprint hat die traditionelle Druckindustrie besonders in den letzten 20 Jahren mächtig auf den Kopf gestellt. Doch seine Geschichte reicht viel weiter zurück. Wie weit genau – und warum dabei auch Funkgeräte, ein Buch von Stan Davis und eine MIT-Studie zur Automobilindustrie eine Rolle spielten –, das hat Robert Keane, Gründer und CEO von Cimpress, auf dem Online Print Symposium 2023 in München erzählt. Als derjenige, der das weltweit erste und heute erfolgreichste Onlineprint-Unternehmen gründete, hatte er zudem vier wichtige Learnings im Gepäck, die für ein erfolgreiches Onlineprint-Business auch in Zukunft wichtig sind.
„Ich hatte das Glück, zur richtigen Zeit, am richtigen Ort und mit den richtigen Menschen zusammen zu sein“: Die Worte, die Robert Keane zum Einstieg in seine Keynote auf dem Online Print Symposium 2023 wählte, klingen bescheiden – doch das, was sich dahinter verbirgt, ist nichts weniger als die Entstehungsgeschichte des Onlineprints, und damit zweifelsohne eine Erfolgsstory. Sie hat ihren Ursprung, weit bevor das Internet für die Öffentlichkeit zugänglich war, bereits in den 1980er-Jahren.
Robert Keane war selbst noch Student und im Team des Studenten-Magazins, das – wie zu der Zeit üblich – noch im Klebe-Umbruch, mit Schere, Leim und im Anschluss mit jeder Menge Chemie für die Film- und Plattenherstellung entstanden ist, als 1984 Apple PostScript, den Macintosh Computer sowie Softwareprogramme vorstellte, die erstmals WYSIWYG ermöglichten. Mit dem ersten PostScript-fähigen Drucker „LaserWriter“ und Aldus‘ Pagemaker-Software war das Zeitalter des Desktop-Publishings eingeleitet – und damit auch der erste Schritt in Richtung Onlineprint getan. Denn ohne diese grundlegenden Entwicklungen würde es den Onlineprint von heute wohl nicht geben. Robert Keane nannte dieses erste Kapitel in der Geschichte des Onlineprints passenderweise auch „Foundational Enablers“ – die grundlegenden „Ermöglicher“.
Zu ihnen zählte er auch die integrierte Fertigung, Mass Customization und Lean Production – alles Begriffe, die bis heute eine wichtige Rolle spielen, wenn es um erfolgreiche Geschäftsmodelle im Onlineprint geht. Robert Keane berichtete von seiner Tätigkeit bei einem kleinen Unternehmen, das maßgeschneiderte Tastaturen für elektronische Abwehrsysteme herstellte, die durch ihre Spezialisierung oft zehn Mal so teuer wie die Standard-Massenware waren – und trotzdem einen irren Absatz fanden. Für Motorola, einem wichtigen Kunden damals, nahm Keane außerdem an einer Schulung zum Thema Mass Customization teil. Dabei ging es um die individuelle Konfiguration von Funkgeräten und die dazugehörige Produktion in der Mindestmenge eins.
Mass Customization: Schon in den 80er-Jahren ein Thema
„Der Mehrwert für den Kunden war unglaublich“, erinnerte er sich und verwies auf ein Buch von Stan Davis, in dem dieser bereits 1987 die Grundprinzipien der „wirtschaftlichen Revolution“ beschrieb: „jederzeit“, „überall“, die „Unabhängigkeit zwischen Information und physischer Form“ sowie – erneut – „Mass Customization“. Für seinen damaligen Arbeitgeber brachte die Umsetzung dieser Prinzipien Kosteneinsparungen, eine verbesserte Qualität, einen kleineren Platzbedarf, kleinere Lager, zufriedenere Mitarbeiter und durch die gesunkenen Kosten natürlich auch mehr Aufträge. Und für Robert Keane war in der Rückschau klar, dass ein Jahrzehnt später „diese Paradigmen Hauptbestandteile des ‚Playbooks‘ von Vistaprint werden würden – und sie bis heute noch immer Teil dieses ‚Playbooks‘ sind“.
Der heutige Cimpress-Chef nahm die OPS-Teilnehmer mit in eine Zeit, in der er die ersten Automaten zur Gestaltung und Bestellung von Einladungen mitentwickelte und in den Einzelhandel brachte, eine Zeit, in der gerade das PDF-Format vorgestellt wurde, Agfa die Computer-to-Plate-Technologie vorstellte und Presstek die erste filmlose Bebilderungstechnologie für Farbprints.
Die Automaten für Einladungen und Co. scheiterten zwar, doch was blieb war eine Gewissheit: „Wir haben eine richtig coole Technologie entwickelt, aber sie ging an dem vorbei, was die Kunden als wichtig erachtet haben“, so sein damaliges Resümee. „Aber ich blieb überzeugt davon, dass es ein riesiges Bedürfnis nach günstigen, schnellen, hochwertigen und kleinauflagigen Design- und Druckservices gab.“
Onlineprint: Vom Hype zur „richtig schlechten Idee“?
1994 war der Business-Plan für „Bonne Impression“ – der ersten Marke des Konzerns, der heute Cimpress ist – verfasst: „Mein Plan war es, das Problem unserer Kunden zu lösen, indem wir Desktop-Publishing-Software wie Microsoft Publisher, bunte Grafikdesigns und vorgedrucktes Kartenmaterial, auf das der Kunde dann seinen eigenen schwarz-weißen Inhalt druckt, mit einem Desktop-Laserdrucker kombinieren. Dies war damals in den USA bereits üblich und ermöglichte es den Kunden, Flyer und Visitenkarten von ihrem Schreibtisch aus zu gestalten und zu drucken.“
1998 war Bonne Impression bereits auf 30 Mitarbeiter angewachsen. Die Marge lag, so Keane, bereits bei über 60 %, da das Produkt schon damals im Sammelformdruck produziert und direkt an die Endkunden verkauft wurde.
Spannend und zugleich witzig, dass der Onlineprint-Pionier – als Amazon.com drei Jahre zuvor quasi das E-Commerce-Business begründete – erst einmal kein großes Interesse am Internet hatte. Trotzdem wurde ihm schnell bewusst, dass er das Internet brauchte, um weiter zu wachsen und Investoren anzulocken. Im Juni 1999 wurde VistaPrint 1.0 in Großbritannien und Frankreich gelauncht. Das „E-Printing“, wie es damals genannt wurde, erlebte im Zuge des dot.com-Hypes einen riesigen Zulauf – und im Jahr 2000 einen ebenso großen Crash. Nur einige der Anbieter überlebten. Viele Profis seien sich damals einig gewesen, dass Onlineprinting eine „richtig schlechte Idee“ sei.
Aufbruch und Boom im Onlineprint
Doch diesem zweiten Kapitel in der Geschichte des Onlineprints sollten weitere folgen: Die „Aufbruch-Jahre“ bis 2005, in denen sich VistaPrint an die Spitze der Onlineprint-Entwicklungen setzte. „Ich glaube, dass einer der Hauptgründe dafür war, dass wir die Innovationen der Digitalisierung, die damals in der Druckindustrie – mit oder ohne uns – stattfanden, leidenschaftlich aufgegriffen und umgesetzt haben“, beschrieb er die Aufbruchsstimmung, die zu Beginn der 2000er-Jahre nicht nur bei den Entwicklern wie Apple oder Adobe, sondern in der gesamten Industrie spürbar war.
„VistaPrint war eine Online-Druckerei, aber auch viel mehr als das; wir sahen uns selbst als einen ‚Disruptor der Branche‘. Unser wahrer ‚Zaubertrick‘ war die Standardisierung und digitale Transformation des Design- und Produktionsprozesses zum Nutzen des Kunden, die wir mit E-Commerce, digitalem Marketing, schlanker Produktion, computerintegrierter Fertigung und kundenspezifischer Massenproduktion kombiniert haben.“
Der Börsengang von VistaPrint im Jahr 2005 markierte den Startpunkt für das Kapitel der „Boom-Jahre“, in denen die Entwicklung nur eine Richtung kannte, nämlich nach oben. Oder in Zahlen: von einem Umsatz von 90 Mio. US-Dollar 2005 auf einen Gesamtumsatz von 2,8 Mrd. US-Dollar im Jahr 2019, also noch vor der Pandemie. Natürlich kam dieses Wachstum nicht nur organisch zustande, sondern auch durch Akquisitionen. Heute gehören unter anderem Pixartprinting, Wir-machen-druck.de oder drukwerkdeal zu Cimpress, wie der Konzern inzwischen heißt. Außerdem zählen seit den frühen 2000er-Jahren auch Unternehmen wie Flyeralarm oder Onlineprinters zu den führenden Onlinedruckereien, die bereits auf fast oder genau 20 erfolgreiche Jahre zurückblicken können.
Der böse Onlinedrucker?
Während der Boomjahre betrachteten viele traditionelle Druckereien die Online-Konkurrenten als „Zerstörer“, deren Preispolitik die Druckindustrie ruinierte. „Doch ich bin der festen Überzeugung, dass das Gegenteil der Fall war: Die Online-Druckereien haben die Preise gesenkt, weil ihre Kosten stark gesunken sind. Ihre Kosten sanken, weil sie sich die Digitalisierung der grafischen Industrie zu eigen machten […]. Mit anderen Worten: Die Online-Druckereien zerstörten die Druckindustrie nicht, sondern zeigten, wie die Zukunft der Druckindustrie aussehen könnte“, war und ist er überzeugt.
Dabei hätten die besten Onlinedruckereien gemeinsam den Weg aufgezeigt, wie sie ihren Kunden einen größeren Wert bieten können, indem sie das Design und den Druck von einem handwerklichen Handwerksbetrieb in einen hocheffizienten, workflowgesteuerten industriellen Prozess umwandeln, der nahtlos vom Browser des Kunden zur Produktion und zur Auslieferung führt. Außerdem haben Onlinedruckereien immer eng mit Maschinenherstellern zusammengearbeitet, Beta-Tests durchgeführt und Anregungen für die Entwicklung robuster, industrialisierter Maschinen gegeben. „All diese Innovationen haben dazu beigetragen, dass die gesamte Druckindustrie ihre Kunden besser bedienen kann“, so Keane, der an dieser Stelle in das aktuelle Kapitel „die Gegenwart“ überleitete.
Im Hier und Heute haben alle Marktbeteiligten die Mechanismen hinter dem „E-Business Print“ verstanden. Industrialisierung und Automatisierung sind längst gelebte Wirklichkeit. „Das weit verbreitete Verständnis für die Möglichkeiten der durchgängigen Digitalisierung macht diese Zeit zu einer sehr spannenden Zeit für unsere Branche“, ist sich Robert Keane auch entsprechend sicher. „Es liegen noch viele Kapitel vor uns, die es zu schreiben gilt“.
Wertvolle Learnings für die Zukunft
Und damit die Unternehmen der Onlineprint-Industrie auch in Zukunft erfolgreich sein können, hatte Robert Keane noch vier wichtige Learnings im Gepäck, die er aus den einzelnen „Kapiteln“ gezogen hat: Er betonte den hohen Stellenwert von Familie, Freunden und Kollegen beim Aufbau eines erfolgreichen Businesses, das unablässige Ziel, Kunden immer besser bedienen zu wollen bis hin zu einer digitalen, hoch automatisierten Produktion und Mass Customization. Aktueller denn je war seine vierte Erkenntnis, die eine Erfolgsformel für die Zukunft beschreibt: „Die bahnbrechenden Innovationen, die den Onlinedruckereien über Jahrzehnte hinweg so viel Erfolg beschert haben, sind längst noch nicht am Ende, ganz im Gegenteil. Es liegen noch enorme Möglichkeiten vor uns. Ich glaube, so naheliegend und einfach diese Lektionen auch klingen mögen; sie sind auf jeden anwendbar, der ein großartiges Online-Druckgeschäft aufbauen möchte“.
Wer mehr über die Geschichte des Onlineprints erfahren will – und neugierig auf die Details und Anekdoten ist, die Robert Keane zu berichten hatte, der sollte sich einfach seinen Vortrag noch einmal in Ruhe anschauen:
First Pioneer of Global Online Print
Ein besonderes Highlight gab es außerdem nach der Keynote von Robert Keane, denn als der Gründer des ersten und bis heute weltweit führenden Onlineprint-Konzerns erhielt er den „First Pioneer of Global Online Print“-Award überreicht. Dabei hielt kein geringerer die Laudatio als Thorsten Fischer, Gründer und CEO von Flyeralarm.
