Nachmachen und besser machen: Apple dreht bei der Apple Watch mal wieder das Copycat-Modell

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In der gestrigen Keynote spielten die vorgestellten neuen iPhone 6 und iPhone 6 Plus die Rolle der Altstars, während die Apple Watch ihr vorzeitiges Debut erlebte. Da das neue Wearable von Apple erst Anfang 2015 auf den Markt kommt, war die Premiere ein knappes halbes Jahr davor ein eigentlich schwaches Zeichen des Mac-Herstellers aus Cupertino. Tim Cook musste etwas vorlegen, damit Apple nicht den Nimbus der Innovation verliert.

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Das nächste Kapitel der Firmengeschichte war auch noch seit Jahren erwartet und spätestens seit Apple Spitzenkräfte aus der Uhrenindustrie abwarb, war klar, dass bald ein Wearable herauskommen wird. Und diese Sache muss gelingen. In diesem Markt ist Apple schließlich wieder mal nicht der erste. So war es bereits beim iPod oder bei der Einführung des ersten iPhone. Das Segment war bereits vorhanden, aber erst Apple führte es zu Akzeptanz. Bei den Wearables allerdings dürfte der Abstand zu den besseren der auf den Markt bereits vorhandenen Smart Watches nicht so deutlich ausfallen wie beim MP3-Player und dem Smartphone. Geräte wie das Moto 360, das im Oktober auf den Markt kommt, sind schließlich auch nicht ohne.

Aber Apple kann seine Stärken auch in dieser neuen Produktgattung ausspielen: Das Design der Apple Watch ist erwartungsgemäß gelungen und dürfte auch die bei der Präsentation anwesenden Modejournalistinnen für sich eingenommen haben. Das Bedienkonzept, bei dem die sogenannte Taptic Engine leichtes und deutliches Tippen unterscheidet wie einen Links- oder Rechtsklick mit der Maus, und die Uhrenkrone statt ihrer klassischen Funktion zum Navigationsinstrument wird, zeigt Apples Knowhow-Vorsprung in solchen Sachen. Das Betriebssystem ist eine Art iOS light und integriert die Apple Watch selbstredend in das eigene Ökosystem – austauschen kann sich die Apple Watch nur mit iPhones ab Version 5. Manche nennen das „goldener Käfig“. Die verbaute Technik schließlich setzt insgeheim neue Maßstäbe bei Sensortechnik und Integrationsleistung.

Wer hat´s erfunden? Mobile Payment mit Apple Pay, iPhone 6 und NFC-Kassenterminal.
Wer hat´s erfunden? Mobile Payment mit Apple Pay, iPhone 6 und NFC-Kassenterminal.

Dann wäre da noch ein Ding: Der Minicomputer am Handgelenk wird ebenso wie die neuen iPhones Mobile Payment unterstützen. Neben Kategorien von physikalischen Produkten ist dies ein Feld, das ebenfalls vor Apples Produkteinführungen bereits vorhanden war. Mobile Payment hat aber bislang noch nicht den erwarteten Durchbruch erfahren. Google Wallet oder Visa Checkout seien hier nur exemplarisch zu nennen. Mit Apple Pay schafft sich die Firma nun selbstredend ihr eigenes, abgeschlossenes System und iPhones sowie Apple Watch werden zur digitalen Geldbörse. Der Anspruch von Apple ist tatsächlich, die Geldbörse seiner Nutzer ersetzen zu können.

In Passbook, der dafür zuständigen App, liegen zukünftig also nicht nur Boarding-Karten für Flüge, Gutscheine und Eintrittskarten, sondern auch die Kreditkarten. Apple nutzt die in iTunes hinterlegten Kreditkartendaten des Nutzers, der kann aber weitere Kreditkarten mit seinem iPhone abfotografieren und in Apple Pay nutzen. Deren Kartendaten sollen aber nicht auf den mobilen Geräten oder gar Servern von Apple landen, sondern durch eine Verschlüsselungstechnik ersetzt werden. Weder würde Apple die Art der Einkäufe bekannt werden noch erfahre der Verkäufer am Kassenterminal den Namen des Benutzers.

Zipperkopf_Skeptisch
Das Geschäftmodell von Apple: Plagi-Innovieren, Nachmachen und dabei besser machen. Das wird spätestens in ein paar Jahren nicht mehr gut gehen.
– Bernd Zipper

Die Einführung erfolgt zuerst im Kreditkarten-wütigen Heimatland der US-Firma. Dort wird sich der stationäre Handel freuen, da ein einfacherer Bezahlvorgang mehr Verkäufe bewirkt. Bezahlt wird, indem man das Wearable oder iPhone 6 an ein Terminal hält und beim iPhone zugleich via TouchID am Fingerabdrucksensor seine Identität bestätigt. Dafür führt Apple nun endlich Near Field Communication, kurz NFC, ein. Die Nahfeldkommunikation mit NFC als einen mal nicht von Apple definierten Standard wird sich nun wohl endgültig etablieren. Mobile Payment ist dabei der Schlüssel zur Akzeptanz, aber das Feld der NFC-Anwendungen ist größer. In der Druckbranche wird Apples Einstieg bei NFC den Stellenwert interaktiver Elemente in gedruckten Produkten deutlich erhöhen – das ist der bislang stärkste Nebeneffekt für die Druck- und Medienbranche seit der Vorstellung des iPads 2010 durch Steve Jobs.

Unter dem Strich wird Apple immer mehr zur Copycat, zum Plagiator. Technisch sind das iPhone 6 und Apples erster Beitrag zum Phablet-Markt, das iPhone 6 Plus, nicht die Geräte, die neue Standards setzen. Der Wearable-Markt bot Apple schon seit geraumer Zeit Gelegenheit, sich Produkte und Geschäftsmodelle ausgiebig anzusehen. Und dasselbe gilt bei Mobile Payment und NFC. Apple reichte dafür bereits seit 2009 Patente ein. Die nicht kommunizierte Stärke von Apple: Während andere Copycats mit in der Regel schlechteren Nachahmern scheitern, schafft es Apple, Geschäftsmodelle aufzugreifen und in seinem geschlossenen Ökosystem besser zu machen. Bei der Einführung des Tablets iPad hat das noch geklappt. Der sich entwickelnde Tablet-Markt wurde durch Apple erst richtig erwachsen. Bei Wearables ist der Abstand allerdings geringer. Das erklärt, warum die Apple Watch bereits ein halbes Jahr vor Einführung vorgestellt wird. Apple läuft die Zeit davon. Spätestens in ein paar Jahren wird Apples Plagi-Innovieren nicht mehr funktionieren. Tja, irgendwie ist der Flair von „Apple invents…“, von Apple als Erfinder dahin.

Gründer und CEO von zipcon consulting GmbH, einem der führenden Beratungsunternehmen für die Druck- und Medienindustrie in Mitteleuropa. In den unterschiedlichsten Kundenprojekten begleiten der Technologie- und Strategieberater und sein Team aktiv die praktische Umsetzung. Er entwickelt Visionen, Konzepte und Strategien für die im Printerstellungsprozess beteiligten Akteure der unterschiedlichsten Branchen. Seine Fachgebiete sind u.a. Online-Print, Mass Customization, Strategie- und Technologie Assessment für Print, sowie die Entwicklung neuer Strategien im Print- und Mediaumfeld. Bernd Zipper ist Initiator und Vorsitzender der Initiative Online Print e.V. und neben seiner Beratertätigkeit Autor, Dozent sowie gefragter Referent, Redner und Moderator. Seine visionären Vorträge gelten weltweit als richtungsweisende Managementempfehlungen für die Druck- und Medienindustrie. (Profile auch bei Xing, LinkedIn).

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