Es wird noch einmal Zeit, über die Druckindustrie und Onlineprint nachzudenken. Die Gründe sind naheliegend: Die aktuellen Zahlen und auch Prognosen zur Zukunft der Branche bieten nicht nur Anlass zur Freude.
Marktzahlen sind üblicherweise rückwärtsgerichtet: 2018 war dies oder jenes so und so groß. Bei Prognosen – so wie wir sie bei zipcon erarbeiten – liegt die Sache etwas anders. Sie sind stets Ergebnisse langjähriger Marktforschung, basieren auf Zahlen, Gesprächen und Interviews, die wir im Rahmen von Studien für unsere Kunden ermitteln, und fassen Trends zusammen. Außerdem schauen wir uns (kommende) Technologien an und bewerten, ob die neuen Methoden sinnvolle Anwendungen für Print bieten können.
Aus der Preiskampf-Spirale herauswinden
So ist etwa Onlineprint – wie wir es vor Jahren schon prognostiziert haben – inzwischen fest etabliert und ergänzt die Druckindustrie an allen Fronten. Weil es wie immer in einer Marktwirtschaft ist: Das bessere Angebot gewinnt den Kunden beziehungsweise den Auftrag. Dementsprechend wird derzeit nahezu jede Branche von Anbietern „disruptiert“, die mit neuen Ideen und Konzepten neue Verbraucherbedürfnisse entdecken, wecken und schließlich befriedigen.
Und mal im Ernst: Wären wir früher in ein dreckiges Taxi gestiegen? Nein. Heute, im Falle Uber, ist es uns aber egal, ob der Wagen glänzt oder nicht – Hauptsache er ist sofort zur Stelle, ich kann bequem mit der Kreditkarte zahlen und habe einen Leistungs- und Nachfrage-gesteuerten Preis. Solche neuen Wege zu finden, ist die eigentliche Herausforderung in unserer aktuellen Zeit der Digitalisierung und Transformation.
Deshalb muss sich auch die Druckindustrie fragen: Wie lässt sich Print neu vermarkten? Wie lassen sich bessere oder schnellere Services anbieten? Und wird Print dadurch wieder attraktiver? Sobald ein Unternehmer eine Antwort auf diese Fragen gefunden hat, wird er sich (zumindest zum Teil) aus der seit Jahren beklagten Preiskampf-Spirale herauswinden können.
Eine bessere Druckindustrie
Wer Onlineprint nun als Verursacher des Preiskampfes in der Druckindustrie identifizieren will, hat das Prinzip Marktwirtschaft nicht verstanden – und auch nicht den Kundenwunsch nach vereinfachten Bestellwegen. Denn es geht nicht kompromisslos um Onlineprint, sondern generell um eine bessere Druckindustrie.
Es muss endlich verstanden werden, dass Onlineprint nur eine Ausprägung der sich transformierenden Druckindustrie ist. Und den Onlinedrucker an sich gibt es ohnehin nicht. Es gibt eine Reihe von Anbietern, die mit höchst unterschiedlichen Konzepten Drucksachen über Onlineshops verkaufen. Es gibt aber auch mindestens so viele eher klassisch orientierte Unternehmen, die ihren Kunden über Onlineshop-Architekturen neue Services bieten. Denn Drucker können mit modernen Systemen – und damit sind nicht ausschließlich Onlineshops gemeint, sondern die gesamte Themenkette „Kundengewinnung, Auftrag, Produktion, Logistik“ – effektive Lösungen und Produkte entwickeln, anbieten und produzieren.
Aber wenn man genau hinschaut: Welcher Drucker hat denn ein gescheites CRM-Tool für die Kundengewinnung und -betreuung? Warum nutzt kaum jemand in der Druckindustrie Tools wie Salesforce und Co.? Warum agieren Druckunternehmer immer erst dann in Sachen Transformation, wenn ihnen der Kittel brennt?
Erst mal das Feld bestellen
Dabei muss jeder Unternehmer zuerst einmal verstehen, wo er sich in dem veränderten Markt überhaupt befindet. Die meisten führen eine Eigenanalyse durch und fragen dann einen Anbieter für Druckequipment um Rat. Was dabei als Lösung herauskommt, ist naheliegend: Eine neue Maschine plus ein bisschen Software – oder dass man sein Seelenheil im Digitaldruck finden würde.
Das eigentliche Problem erkennt aber kaum jemand: Die Unfähigkeit vieler Drucker, sich selbst und nicht den Drucksaal zu verändern! Viele Unternehmer wollen noch immer nicht wahrhaben, dass sich die Welt komplett verändert (hat). Und schlimmer noch – sie glauben noch immer an Wunder durch Maschinentechnik.
Daher lautet meine aktuelle Parole: Schwerter zu Pflugscharen – also erst einmal das Feld bestellen, bevor man mit einer neuen Hammer-Maschine in den Preiskrieg zieht und diesen noch weiter anheizt.
Nur schnell zum Hintergrund: „Schwerter zu Pflugscharen“ ist ein Teilzitat aus der Bibel, das ab den 1980er Jahren zur Redewendung und zum Symbol von Abrüstungsinitiativen und der Friedensbewegung wurde.
Aber bevor ich missverstanden werde: Ich habe nichts gegen neue Maschinen und auch nichts gegen Software. Aber ich habe etwas gegen sinnlose Aufrüstung. Denn mit dem bloßen Erwerb einer Maschine oder einem Stück Software ändert sich (zunächst einmal) gar nichts. Man sollte zumindest wissen, wohin die Reise gehen soll und wie was optimal und zielführend eingesetzt wird. Das bedeutet in jedem Fall: dazulernen!

Und es muss an der DNA gearbeitet werden! Wir müssen uns neu orientieren, unsere DNA anpassen, damit wir im digitalen Zeitalter überhaupt noch eine Berechtigung haben. Print muss erkennen, dass das, was wir gelernt haben, heute nicht mehr zum Überleben reicht. Weil die DNA eines Druckers, also seine Erbinformationen, produktionsgetrieben sind. Das ist es, was er gelernt hat … und genau das macht ihn heute zum letzten und austauschbaren Glied in der Kette der Medienkommunikation. Wären Drucker schon als Berater bei der Entstehung der Kundenaufträge dabei, würde das ganz anders aussehen. Einige Unternehmen haben das schon verstanden – die meisten jedoch leider nicht.
Gutsherren-Denken und -Handeln
Deshalb wird es für Druckereien mit traditioneller Denke und konventioneller Produktion, die zudem noch einen riesigen Investitionsstau vor sich herschieben, kaum noch Chancen am Markt geben. Schaut man hinter die Kulissen einiger (auch großer) Unternehmen, sind hierarchische Strukturen zu finden, verkrustete Vorstellungen von Markt und Innovationen sowie ein ausgeprägtes Gutsherren-Denken und -Handeln statt zeitgemäßer Mitarbeiterführung. Solche Betriebe sind zu unattraktiv für eine sinnvolle Nachfolgeregelung – dass die gesamte Branche als wenig „sexy“ gilt, kommt noch dazu. Wer wundert sich da noch über den Fachkräftemangel?
Also müssen sich Print-Unternehmen zukunftsorientiert aufstellen. Dann kommen auch wieder junge Leute, die gerne in der Druckindustrie arbeiten wollen. Denn wer will heute noch in einer verstaubten Industriehucke arbeiten, wenn er/sie für ein paar Euro weniger in einem netten Startup-Office oder einem schicken Großunternehmen arbeiten kann?
Print braucht aber dringend Fachleute. Es versaut das Image einer ganzen Branche, wenn mies gedruckte und schief geschnittene Flyer auf billigstem Papier an Kunden ausgeliefert werden, weil man die Fachleute rausgeworfen hat – wie es im „Billig-Onlineprint“ mitunter vorkommt. Doch wir brauchen das fachliche Know-how – wir brauchen auch alte Technologien, denn nicht alles ist mal eben mit digitalen Lösungen erledigt. Die Veränderung der Print-DNA bedeutet in diesem Zusammenhang nämlich auch, das Gute zu bewahren und möglichst profitabel zu verkaufen. Beim Trend Letterpress sehen wir, dass es – in begrenztem Umfang – funktionieren kann.
Raus aus der Komfortzone
Bei diesem Umlernen ist es immens wichtig, die Mannschaft mitzunehmen! Denn die Veränderung der Print-DNA betrifft in erster Linie Menschen, das Mindset, die Haltung gegenüber dem Job und die Servicebereitschaft: 24/7-Service und adäquate Onlineleistungen. Also raus aus der Komfortzone und rein ins Service-Denken und -Handeln.
„Meine aktuelle Parole lautet: Schwerter zu Pflugscharen – also erstmal das Feld bestellen, bevor man mit einer neuen Hammer-Maschine in den Preiskrieg zieht und diesen noch weiter anheizt.“ – Bernd Zipper.
Denn alles, was einfach ist, wird heute und in Zukunft in Druckfabriken gefertigt. Wird das Produkt komplexer, brauchen wir Fachleute und Spezialisten. Das sehen wir bei Labels und Verpackungen, aber auch bei aufwendigen Akzidenzen, Büchern etc. Allerdings ist der Service ein jeweils anderer. Deshalb hilft die Frage „Was können wir mit unseren alten Hobeln noch billig raushauen?“ nicht weiter, sondern „Was können wir mehr tun, um die Bedürfnisse unserer Kunden zu erkennen und zu befriedigen?“
Ja, und dann muss gegebenenfalls sogar eine neue Maschine her. Denn Automatisierung, Verkürzung von Rüstzeiten und die Verbesserung der Qualität sind Grundvoraussetzungen für eine zeitgemäße und wirtschaftliche Produktion.
Und ein Onlineshop an sich ist auch keine Garantie für das Überleben! Der Verkauf von Print über einen Onlineshop braucht E-Commerce-Experten – und das ist keine billige Nummer. Ein Indikator hierfür ist der Trend bei einigen Onlinedruckern, B2B-Kunden über einen eigenen Key-Account anzugehen und zu betreuen – Flyeralarm macht das schon seit Jahren, andere nicht.
Social-Media und Print – ein Widerspruch?
Deshalb – und auch aus anderen Gründen – wird es bei Onlinedruckereien über 20 Millionen Umsatz eine Konsolidierung geben. Die großen Anbieter werden sich (weil sie im E-Commerce-Bereich viel falsch machen) neue Kunden „kaufen“ müssen. Und das werden sie bei ihren kleineren Wettbewerbern tun. Im Rahmen unserer M+A-Beratung begleite ich seit mehreren Monaten solche Prozesse. Denn offenbar wird bei den großen Playern der Verdrängungswettbewerb immer härter und es bleibt in der Folge „kein Stein auf dem anderen“. Noch wachsen zwar fast alle Onlinedrucker – aber längst nicht mehr so schnell wie vor drei oder vier Jahren.
Sie wachsen nur noch gering – weil einige E-Commerce betreiben wie vor zehn Jahren. Scheinbar wurde vieles nicht verstanden. Unter anderem wird Social-Media-Print komplett verpennt. Hier haben sich jetzt kleinere Anbieter eine Nische gesucht und sie gefunden.
Wir müssen also auch hier lernen: Print plus Online plus Social-Media plus Radio plus TV plus Stream bilden als Medienkanäle einen Kanon, der gemeinsam bespielt werden kann und muss. Dabei hat jedes Medium seine Zeit. Die der Zeitung scheint vorbei, die der Onlineblogs nicht. Doch das kann sich sehr schnell ändern, wenn Produkt und Zielgruppe übereinstimmen. Wir erleben das aktuell mit unserer als Zeitung gedruckten Publikation „beyondprint unplugged“. Dennoch und gerade deshalb ist ein „Weiter-so“ der falsche Weg für die eigene Weiterentwicklung.
Was man konkret tun kann
Reden. Kommunizieren. Sich öffnen und informieren. Auf Veranstaltungen gehen, die vielleicht eher im Onlinebereich liegen. Gerne auch zum nächsten Online Print Symposium am 3. und 4. März 2020 in München kommen. Außerdem sollte man überlegen, ob nicht eine Frischzellenkur – beispielsweise eine Innovationsabteilung im Unternehmen – neue Ideen und neue Leute hervorbringen kann.
Doch auch das alleine reicht nicht. Die ersten Schritte zum Entwickeln einer Überlebensstrategie beginnen im Kopf des Unternehmers. Der muss allerdings auch verstehen, dass Unternehmertum heute nicht mehr Heimlichtuerei, Intransparenz und „Billig-Billig“ bedeutet – sondern Offenheit, Kommunikation, Transparenz, Kooperation und Coopetition, flache Hierarchien, schnelle Entscheidungen – und sich die Mitarbeiter zu Komplizen machen.
My Take: Es gibt eine Menge zu tun. Aber den Anfang muss der Unternehmer machen – auch wenn es sehr unbequem für ihn werden kann. Denn die Erfahrung zeigt: Die Ursache für die meisten Probleme sind die Köpfe dahinter. Wir sind alle darauf angewiesen, stets neu zu lernen. Immer schon – seit Jahren. Und wir müssen lernen, analytisch und strukturiert zu denken. Mir hilft mein Team dabei. Und ich lerne stets aus Online- und Transformationsprojekten auch auf internationaler Ebene, die ich bisher begleiten durfte. Und keine Angst vor Beratern – auch ich lasse mich beraten. Das öffnet den Geist und die Perspektive. Ein gutes Glas Wein – um ab und an mal in Ruhe gemeinsam mit „meinen“ Beratern zu reflektieren – hilft übrigens auch, neue Gedanken zu entwickeln.
