No community, please

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Nur ein zusätzlicher Buchstabe und aus EINSAMKEIT wird GEMEINSAMKEIT … 🙂

Ja, meine Oma. Ihr Rat (ich wuchs in einer Zeit auf, da Spielzeuge nach-kriegsbedingt Mangelware waren) an mich lautete stets: man muss sich selbst beschäftigen können. Obwohl meine Oma nie Platon, den alten griechischen Philosophen, gelesen hat, kam sie seiner Erkenntnis gleich. Als er über die Schrift im allgemeinen räsonierte: „Wer die Schrift lernt, dem pflanzt sie durch Vernachlässigung des Gedächtnisses Vergeßlichkeit in die Seele, weil er im Vertrauen auf die Schrift, von außen her durch fremde Zeichen, nicht von innen her aus sich selbst die Erinnerung schöpft.“ Was so viel sagt wie: konzentriere Dich  auf Dich auf Deinen Geist, und Du hast alles, was Du brauchst.

Theorie? Nein, praktische Anleitung zu selbstbestimmten Leben. Denn man kann Platon ganz leicht auf modern umwandeln: „Wer sich in Web-Communities verstrickt, dem pflanzen sie durch Vernachlässigung situativer Kommunikation und spontaner Lebensfreude Rituale ins Handeln, weil er im Vertrauen auf Aregungen, von außen und durch Fremde, nicht von innen her aus sich selbst die Lebensfreude schöpft.“ – Womit wir bei einem Problem sind, das so banal gar nicht ist, wie es manchmal kleingeredet wird. Dem Paradoxon „Einsamkeit durch Kontakteflut“. Immer mehr (jüngere, junge) Menschen erstarren in ihrer sozialen Flexibilität und Freude an sich selbst, weil sie sich in „soziale Netzwerke“, Communities einklinken und dort zum Chat-Junkie werden. Freundschaft ist nicht mehr eine emotionale Bindung, sondern eine möglichst hohe Anzahl von Links. Was dem 68er der vielgeschähte „Rudel-Bums“ war, ist dem homo digitus die Membership in Dingsbums-VZ, Twitter-Chatter-Com, in Myfacebodybrain und der minütliche Klick in Jutuup & Co. Von der Sucht, permanent zu SMSen oder das Handy am Ohr zu haben, ganz zu schweigen.

Lonesome among friends
Dabei sein und mitmachen, um sich letzten Endes einsam oder unverstanden zu fühlen? Oder wie in Trance zu verwirklichen, was wie ein magischer Lifestylezwang Voodoo-starken Druck auf ungefestigte Persönlichkeiten ausübt? Nein, die Wurzeln liegen früher, in der frühen Kindheit eines jeden dieser Tele-Zombies: sie haben nicht gelernt, sich selbst kennenzulernen. Sie hatten keine Chance, eine Persönlichkeit zu entwickeln, die mit den individuellen Fähigkeiten, Neigungen, Erfahrungen korreliert. Das „learning by doing“ oder auch das in der Kindheit so erfolgreiche „try and error“ blieb aus. Dafür gab es nichts anderes als den antrainierten Reflex, auf alles, was vom Ich, der Gegenwart und der Realität ablenkt, bedingungslos gehorchend zu reagieren. Die Flucht in Cyberspaces, die nur eines bewirken sollen und wollen: die User süchtig, abhängig, zu Consumern zu machen.

Glauben wir doch bitte nicht, dass beispielsweise polyphone Klingeltöne erfunden wurden, damit sie besser zu hören sind. Es gibt sie, weil man damit Geld abzocken kann. Oder Spielekonsolen: erst wird ein Kult-Hype generiert, dann die Kiste per Gnadenakt gegen hohe Ablassgelder dem Kunden gnädig überlassen. Gründen sich soziale Netzwerke, um sozial gut zu sein? Sie werden etabliert, um Kohle zu machen, viel Kohle, mit viel Werbung, die sich nur dann amortisiert, wenn sie Abhängige erzeugt. Es ist wie beim Arzt und der Pharmaindustrie: eigentlich sind sie ja bescheuert, Kranke gesund zu machen. Besserung ja – das erzeugt dann lebenslang dankbar Abhängige, Medikamentenabhängige. Wie die webbasierten social communities: ein bisschen sind sie ja ganz nett, sinnvoll und nützlich. Und dieses Wenige ist gerade so groß wie die Tagesration eines (emotionalen) Sklaven: Zu viel zum Sterben, zu wenig zum Leben. Es ist die gesteuerte Ausbeutung durch das Prinzip Hoffnung. Wer den Nutzen von Communities nicht richtig einsieht, muss wenigstens das schlechte Gefühl und Gewissen haben, es läge an seiner eigenen Unfhäigkeit, an der eigenen Blödigkeit.

No. You must not.
So weit die – individuelle – Analyse. Folgt ihr die Hoffnung, sie könnte helfen, den Spieß umzudrehen? Natürlich wird die Erkenntnis nicht helfen. Selbst wenn sie klar aussagt, dass Community-Süchtige identisch sind mit Drogen-Abhängigen. Denn die Welt lebt ja schließlich wirtschaftlich davon, dass wir alle, ohne Ausnahme, drogenabhängig und gegenüber unserer Mitwelt egozentrisch-asozial sind: Wir essen zuviel, trinken zuviel, konsumieren zuviel Güter mit hohen Transport- und Energieaufwendungen, wir verbrauchen viel zu viel Energie in jeglicher Form, wir telefonieren viel zu aufgeregt und arbeiten viel zu hektisch, wir unterwerfen uns scheinbar gesellschaftlich geforderten Pflichten und Zwängen, die von Abzockern und mancherlei Bünden organisierter Kriminalität legaler Art erdacht, etabliert, gesteuert und kontrolliert werden und verschleudern daran unser bescheidenes Vermögen. Das alles kann aber nur funktionieren, wenn wir eines garantiert nicht sind: Individualisten mit einem freien, frischen Geist.
Das wissen wir sehr genau. Aus leider dutzenden, hunderten Perioden der Diktatur, Unterdrückung, satanischen Brutalherrschaft in so gut wie allen Ländern dieser Welt in jüngster und älterer Vergangenheit. Nichts steht dem Anspruch auf Allmacht und Unterdrückung durch Psychoterror so im Wege wie der Mensch, der sich seiner Persönlichkeit und vor allem seines Wertes, seiner Fähigkeiten, seiner Freiheit bewusst ist – und sie auch lebt, auslebt, vorlebt.

Doch es gibt Hoffnung. Denn solange es noch möglich ist, gibt es ein Spiel, das so dramatisch lustspendend ist wie kein zweites: Konsumverweigerung. Mitmachsperre. Abseitsstehen. Einfach nicht kaufen. Einfach nicht mitmachen. Einfach ignorieren. Einfach drüber lächeln, lachen, sich amüsieren. Einfach dastehen und zufrieden sein, ohne je einen Cent aus-zugeben und ohne eine Sekunde schlechten Gewissens, ohne Druck, Zwang, Frust – einfach nur friedlich-freundliche Fröhlichkeit. Einfach nur so simple Worte wie „nein, no“. Oder einfach nur das tun, was der us-amerikanische Dichter Carl Sandburg (1878-1967) genial formulierte:  „Stell Dir vor, es ist Krieg und keiner geht hin.“  – „Stell Dir vor, da ist eine Web-Community und Du meldest Dich nicht an.“  – „Stell Dir vor, es gibt ein neues Handy und Dein altes hat alles, was Du brauchst.“  – „Stell Dir vor, bei Dir läutet das Telefon, aber Du liest Dein Buch weiter.“  – „Stell Dir vor, Du bekommst eine SMS, aber Dein Telefon ist gar nicht angeschaltet.“  – „Stell Dir vor, für Wii gibt es ein neues Spiel, aber Du spielst Halma auf dem Brett.“  – Stell Dir vor, wie schön das alles ist !

You are the community of one
Wer nun seufzt und sagt, „ach, was kann ich als einzelner gegen den Trend der Zeit ausrichten“, der sei in ein tiefes Geheimnis eingeweiht, das für den Rest des Lebens glücklich macht: Wenn Du, und nur Du allein, so bist, anti-communitistisch, und würdest keinen anderen kennen, der so ist, wie Du, dann bist Du der Größte von allen: dann bist Du, ganz alleine für Dich, „the community of one“. Das höchste, was ein Mensch erreichen kann. Dann bist Du nicht nur Du selbst. Du bist auch Deine Welt. Dann hast Du Kontakt zu Deiner Community, also zu Dir, ohne jemals eine Münze in die Hand nehmen zu müssen, weil Du ständig mit Dir in Verbindung stehst – denn die Flatrate zu Dir selbst ist free of charge. Dann hast Du den besten Freund, den Du Dir denken kannst: Dich selbst.

Gründer und CEO von zipcon consulting GmbH, einem der führenden Beratungsunternehmen für die Druck- und Medienindustrie in Mitteleuropa. In den unterschiedlichsten Kundenprojekten begleiten der Technologie- und Strategieberater und sein Team aktiv die praktische Umsetzung. Er entwickelt Visionen, Konzepte und Strategien für die im Printerstellungsprozess beteiligten Akteure der unterschiedlichsten Branchen. Seine Fachgebiete sind u.a. Online-Print, Mass Customization, Strategie- und Technologie Assessment für Print, sowie die Entwicklung neuer Strategien im Print- und Mediaumfeld. Bernd Zipper ist Initiator und Vorsitzender der Initiative Online Print e.V. und neben seiner Beratertätigkeit Autor, Dozent sowie gefragter Referent, Redner und Moderator. Seine visionären Vorträge gelten weltweit als richtungsweisende Managementempfehlungen für die Druck- und Medienindustrie. (Profile auch bei Xing, LinkedIn).

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