Vom World Wide Web bis hin zu Cloud-Services: Die technologischen Entwicklungen der letzten Jahrzehnte haben Industrie und Wirtschaft grundlegend verändert – und damit auch die Arbeit und Prozesse in Druckereien. Ein kleines Tool, nein, Dateiformat, wird in der Aufzählung jedoch gerne übersehen – und das, obwohl der Datenaustausch im Allgemeinen sowie der Onlinedruck im Speziellen heute nicht so funktionieren würde, wie wir es kennen. Die Rede ist vom PDF, dem Portable Document Format, das in diesem Jahr bereits 30 wird – und mich schon genauso lange begleitet.
Mehr als 400 Milliarden PDF-Dateien wurden allein im letzten Jahr in Adobe-Produkten geöffnet – das zumindest verkündet Adobe anlässlich des Geburtstags des Dateiformates, und das zeigt eines: PDF ist aus der heutigen Welt nicht mehr wegzudenken – und hat auch die Entstehung des Onlineprints grundlegend mit beeinflusst.
Wie? Das will ich in diesem Artikel erklären. Und, Achtung Spoiler: Ich plaudere auch aus dem Nähkästchen und verrate, was PDF, eine Stadthalle in Bobingen und ich gemeinsam haben – Stichwort: PDF-Tour. Doch eins nach dem anderen.
Alles auf den Kopf gestellt
Aus heutiger Sicht mag es schwer vorstellbar sein; aber es gab eine Zeit, in der Druckdaten weder im Handumdrehen erstellt, geschweige denn in wenigen Sekunden für die Druckerei hochgeladen werden konnten. Es brauchte viel Erfahrung und Know-how, um die Motive in der gewünschten Art und Weise zuerst auf die Druckplatten und danach auf den Bedruckstoff zu bringen. Das Desktop-Publishing hatte in den 1980er-Jahren den kreativen Prozess komplett auf den Kopf gestellt – doch zugleich für neue Herausforderungen gesorgt, denn eine Gestaltung exakt so auslesen und darstellen zu können, wie sie erstellt wurde – heute besser als WYSIWYG bekannt -, war quasi nicht möglich.
Das Projekt „Camelot“
Dass Adobe-Mitbegründer John Warnock Anfang der 1990er-Jahre ein Team zusammenstellte und das Projekt „Camelot“ aus der Taufe hob, war nur folgerichtig. Aufgabe von „Camelot“ war es, ein Format zu entwickeln, mit dem genau das möglich werden sollte: Dokumente so ausdrucken zu können, wie es die Urheber auch erstellt hatten – über die Grenzen von Betriebssystemen, Software-Applikationen oder Geräten hinweg. Im Januar 1993 wurde PDF erstmals vorgestellt, die Version 1.0 von Adobe Acrobat folgte im Juni desselben Jahres. Schon in der ersten Version wurden Links, Lesezeichen, eingebettete Schriftarten und Abbildungen in RGB unterstützt. Was heute selbstverständlich ist, war damals revolutionär.
Seitdem wurde das Dateiformat fortwährend weiterentwickelt: Sicherheitsfeatures, Kommentare, Suchfunktion oder Signaturen, Konvertierungen oder Liquid Mode für die Ansicht auf mobilen Endgeräten. Hier kommt laut Adobe sogar bereits die künstliche Intelligenz namens Sensei zum Einsatz.
PDF ist heute DER Standard – und das über viele Branchen hinweg
Aber, to make a long story short: Seit 2008 ist die International Organization for Standardization – die ISO – für das PDF-Format zuständig und hat es in der ISO 32000 in einen offiziellen Standard überführt, was gleichbedeutend war mit der Tatsache, dass PDF und der Acrobat Reader für die Öffentlichkeit kostenlos zugänglich waren. Inzwischen gibt es PDF-Standards für ganz unterschiedliche Einsatzzwecke: Von PDF/A für die Archivierung, über PDF/UA (Universal Accessibility), PDF/E für das Engineering und PDF/H für den Gesundheitssektor bis hin zum PDF/VT für den Variablen- und Transaktions-Druck bis hin zum PDF/X-Format. Letzteres ist längst zum wichtigsten Format auch in der Druckindustrie geworden und hat durch seine Eigenschaften einen wesentlichen Beitrag zur Entwicklung des Onlinedrucks geleistet.
Jetzt wird’s persönlich: Vom Computer-Nerd zum PDF-Fachmann
Was manche vielleicht nicht wissen: Das PDF-Dateiformat hat auch für mich persönlich eine wichtige Rolle gespielt: Ich habe die Entwicklung schon früh begleitet, habe die ersten Artikel darüber vor mehr als 25 Jahren im amerikanischen Seybold-Report veröffentlicht und damals bereits von „PDF on the fly“ geschrieben, das sich zu „Web-to-Print“ weiterentwickeln würde. Sogar ein Interview mit John Warnock konnte ich damals führen. Und auch für die deutschen Fachzeitschriften „Publishing Praxis“ und „Deutscher Drucker“ habe ich regelmäßig über die Neuigkeiten, den Einsatz und die Bedeutung des damals noch neuen Dateiformats für die Druckindustrie berichtet und die ersten Workshops über PDF veranstaltet. Zu der Zeit hatten Info-Veranstaltungen wie diese noch so simple und unspektakuläre Namen wie „PDF 98“.
„Industrie-Influencer“ für das PDF-Format
Um die Jahrtausendwende herum nahm das Thema „PDF in Print“ dann so richtig Fahrt auf und stellte die Prozesse auch in deutschen Druckereien auf den Kopf. Auf der Drupa 2000 durfte ich, zusammen mit Océ, mein erstes Buch zum Thema veröffentlichen – mehr als 50.000 Exemplare gingen damals über die „Messestand-Theke“. Danach folgten unter anderem „PDF+print“ sowie „PDF+print 2.0“, von denen die erste Ausgabe nicht nur in Deutsch, sondern auch in Dänisch, Englisch und Japanisch erschienen – und inoffiziell sogar in Chinesisch und Russisch. PDF war eben nicht nur im deutschsprachigen Raum DAS Thema dieser Zeit, sondern weltweit.
Zusammen mit Stephan Jaeggi machte ich mich 2000 und 2001 außerdem auf „PDF-Tour“; gemeinsam veranstalteten wir Workshops im gesamten DACH-Raum und informierten darüber, wie PDF in der Praxis zu handhaben ist. Aus heutiger Sicht hätte man uns vermutlich „Industrie-Influencer“ genannt – wobei „Marktbereiter für PDF in der Druckindustrie“ irgendwie besser erklärt, was wir da damals eigentlich gemacht haben.
Eine Anekdote erzähle ich in dem Zusammenhang übrigens besonders gerne, weil sie veranschaulicht, wie sehr die Menschen in der Druckindustrie damals begriffen hatten, welches Potenzial im Thema PDF steckte: Ich erhielt eine Anfrage der Druckerei Kessler in Bobingen. Ich sollte dort über die Einsatzmöglichkeiten des neuen Dateiformates sprechen und darüber, wie man damit arbeitet. Es ginge nur um einen kleinen Kreis Interessierter, hieß es, ein Raum in der Druckerei sollte Ort des Geschehens sein. Doch je näher der Workshop kam, desto mehr ging die Zahl der Angemeldeten in die Höhe – so lang, bis selbst die Druckerei keinen passenden Raum mehr zur Verfügung hatte und der PDF-Workshop letztendlich in die Stadthalle verlegt werden musste.
PDF – Katalysator für den Onlinedruck
Es war ein tolles Gefühl – nicht wegen der großen Bühne, sondern wegen der Aufbruchsstimmung, die in der Druckindustrie damals herrschte. Das PDF-Format hat in unserer Industrie so vieles einfacher gemacht. Natürlich mussten zuerst die Besonderheiten, die eine Druckproduktion mit sich bringt, berücksichtigt und eingearbeitet werden, Stichwort Transparenzen und Verläufe. Aber nachdem der Exchange-Standard des Formates – PDF/X – fertig entwickelt war – und der Distiller im Hintergrund arbeitete und nicht mehr manuell eingestellt werden musste, war die Arbeit in Druckereien eine ganz andere!
Aber nicht nur die Prozesse für Kreation, Datenaustausch, Druckvorstufe und Druckplattenerstellung sind heute ganz andere als in den 1990er-Jahren – PDF und Onlinedruckereien hatten es zudem erstmals möglich gemacht, Zielgruppen anzusprechen, die vorher für Druckereien keine besondere Rolle gespielt haben: Klein- und Kleinstunternehmen bis hin zu Privatpersonen.
Das Geschäftsmodell, Druckaufträge über einen Onlineshop zu generieren, wäre gewiss auch ohne PDF entstanden. Ja. Aber ich bin mir sicher, dass die Eigenschaften von PDF diese Entwicklung erst so richtig angekurbelt und im übertragenen Sinne den Grundstein für Onlineprint, wie wir ihn kennen, gelegt haben. Wir alle wissen, welche Bedeutung der Onlinedruck heute innerhalb der Druckindustrie hat – und wem das noch nicht bewusst ist, der sollte einfach am 23. und 24. März beim Online Print Symposium dabei sein!

DiscussionEin Kommentar
Hallo Bernd!
Schöner Text mit deinen persönlichen Erinnerungen.
Für mich persönlich brachte pdfnews.de den Einstieg in die PDF-Welt.
Anfang der 2000er war es ja noch nicht so einfach möglich, überhaupt Informationen über PDF zu bekommen; alles war neu.
Viele Grüße
Alex