Man könnte meinen, der Hype um ChatGPT habe das Thema Metaverse nicht nur aus der öffentlichen Diskussion verdrängt, sondern direkt in die Bedeutungslosigkeit geschickt. Warum sprechen wir also noch darüber? „Weil es zwei langfristige Trends gibt, die dieses Thema sehr stark treiben werden“, erklärt dazu Björn Ognibeni, Strategic Director XRLab-MCM der Universität Münster. Welche das sind – und was sie auch für die Druckindustrie bedeuten können, hatte er auf dem Online Print Symposium in München verraten.
Eigentlich ist das Internet ein ziemlich einsamer Ort, denn alles – oder zumindest das meiste – was wir online tun, tun wir alleine. Einkaufen zum Beispiel. Es ist einfach, mit Freunden zum Shoppen in die Stadt zu gehen, aber wie geht man zusammen online einkaufen? „Die Antwort ist: gar nicht“, sagte Ognibeni. „Selbst bei einer Firma wie Amazon scheint dieser Use Case erstaunlicherweise noch nie durchdacht worden zu sein. Wir haben im Bereich E-Commerce eigentlich seit 20 Jahren keine wirkliche Innovation erlebt, zumindest nicht, was das Userface angeht. Amazon 2023 sieht im Prinzip noch genauso aus wie 2010 oder 2000. Seitdem hat sich in Sachen User Experience kaum etwas verändert.“
Trend 1: Das Internet wird zu einem sozialen Ort
Hier lohnt sich nach Aussage des Strategic Directors der Universität Münster ein Blick nach China, denn: „dort hat man mit E-Commerce genau an der Stelle angefangen, wo wir aufgehört haben. Dort ist die Idee, mit Freunden zusammen einkaufen zu gehen, schon lange ganz normal in Apps drin“ – wie er am Beispiel der Taobao-App zeigte. Dabei sei das weder Rocket Science, noch besonders innovativ. Per Knopfdruck baut man die Verbindung zu einem Freund auf, beide sehen dasselbe Produkt gleichzeitig auf dem Bildschirm und können sich darüber austauschen.
Warum Immersion so wichtig ist
Doch nicht allein daran lasse sich der erste große Trend ablesen – nämlich der, dass sich das Internet immer mehr zu einem sozialen – und damit eben gar nicht mehr so einsamen – Ort entwickelt. Das habe auch die Pandemie bewiesen. Denn obwohl Onlinemeetings deutlich besser funktioniert haben, als man sich das vorher vorstellen konnte, habe eines gefehlt. „Das Gefühl, mit den anderen wirklich zusammen zu sein. Das kann ich online nicht haben. Es fehlt Immersion“, erklärte Björn Ognibeni und schlug damit eine Brücke zu den Headsets. Nein, nicht die Kopfhörer mit integriertem Mikrofon, sondern die Virtual-Reality-Brillen, wie sie unlängst auch Apple vorgestellt hat und damit selbst in die Metaverse-Welt eingestiegen ist. „Man kann das nicht theoretisch erklären, man glaubt es erst, wenn man es ausprobiert hat, aber Headsets können tatsächlich das Gefühl von Immersion vermitteln. VR und 3D vermitteln das Gefühl von physischer Präsenz“, erklärte der Fachmann und beschrieb, wie ein Kollege im Büro Tischtennis spielte – im virtuellen Raum und mit einer VR-Brille auf dem Kopf.
Auf Social Presence folgt Augmented Society
„Spannend ist, dass der andere Spieler zwar ein Computer, aber eben auch ein Bekannter an einem ganz anderen Ort sein kann. Die Immersion sorgt, in Interaktion mit anderen Nutzern, dafür, dass wir eine Social Presence entwickeln – das echte Gefühl, mit anderen an einem Ort gemeinsam zu sein. Der eigentliche Kern vom Metaverse“. Dieses lasse sich vereinfacht wie folgt zusammenfassen: Virtuelle Welten, in die man ohne Ein- oder Ausschalter hineingehen kann und reale Menschen als Avatare trifft und – ein wesentlicher Teil der User Experience – sozial interagiert. Darum sei auch nicht jeder virtuelle Ort gleich ein Metaverse – und man brauche nicht zwingend eine VR-Brille, wenngleich diese das Gefühl der Immersion am besten erzeugen kann.
Was die Marktdurchdringung solcher Headsets betrifft, geht der Fachmann von einer sukzessiven Entwicklung aus, ähnlich wie bei den Personal Computern in den 90er-Jahren. Computer gab es auch erst nur in Firmen, bis man festgestellt hat, dass man sie zu Hause auch gebrauchen kann. So ähnlich könnte es sich auch mit den Headsets verhalten – und damit Virtual Reality (ich tauche in eine virtuelle Welt ein) und Augmented Reality (virtuelle und physische Realität verbinden sich miteinander) vielleicht nicht in zwei Jahren, aber auf lange Sicht zu etwas Normalem werden.
Das, was daraus irgendwann entstehen könnte, nannte Björn Ognibeni „Augmented Society“, „wo im Prinzip unsere physische Welt ständig einen Digital Layer bekommt, der dann die Verbindung ins Metaverse bildet“.
Trend 2: OMO – Online merge Offline
Das wiederum führe direkt zum zweiten großen Trend, nämlich, dass Offline und Online miteinander verschmelzen. „Wenn ‚Glasses‘ als AR-Endgerät wirklich funktionieren, dann werden wir vielleicht eine dritte, große Revolution haben, was digitale Technologien angeht“, so Ognibeni. Dann gäbe es neben PC und Smartphone auch die AR-Glasses. „Es wird spannend sein, wie unsere Welt dann aussieht.“ In China sei diese Entwicklung längst Teil eines Trends, der sich „OMO“ nennt, Online merge Offline, und in vielen Bereichen längst mitgedacht werde. In Europa gelte da eher das Prinzip „OOO“, Online oder Offline. „Und selbst Omnichannel wird hier oft noch in zwei Silos gedacht, die nicht miteinander verschmelzen.“ Man wolle sich lieber real treffen, doch – so Björn Ognibeni – werde man den Begriff Realität früher oder später neu definieren müssen, „nämlich dann, wenn wir die physische und virtuelle Welt als eins denken“.
Keine Zukunftsmusik
Beide Trends werden das Thema Metaverse in den nächsten zwei Jahren deutlich vorantreiben, da ist sich der Strategic Director sicher. Die Frage aber sei, was Firmen damit machen und was heute schon damit passieren kann: Von Seminaren im virtuellen Raum ganz ohne Zoom und Teams, über das Thema Maschinenvisualisierung, die virtuelle Fabrikplanung und Gebäudebesichtigung noch bevor die Bagger auf dem echten Bauplatz anrollen bis hin zum Thema Mitarbeiter-Onboarding, das beispielsweise bei Accenture schon heute mithilfe von Augmented Reality stattfindet, oder virtuelle Job-Messen. Selbst dem industriellen Metaverse, wo man die Virtualität nutzt, um industrielle Prozesse zu unterstützen, sind wir nach Einschätzung von Björn Ognibeni bereits näher als mancher vermuten würde.
Warum das Metaverse auch für Druckereien spannend sein kann
Und auch für Druckereien – und speziell Onlinedruckereien – werden die Themen VR, AR und Metaverse früher oder später an Bedeutung gewinnen, spätestens dann, wenn sich das Mediennutzungsverhalten der Menschen spürbar in diese Richtung verändert. Umso wichtiger ist es, ähnlich wie bei der Künstlichen Intelligenz, die Augen nicht zu verschließen. Mit Hilfe und der Kraft der virtuellen Realität lassen sich immersive Erlebnisse entwickeln, eine höhere Marken-Awareness schaffen und Loyalität erzeugen. Ansatzpunkte für Druckereien könnten beispielsweise Showrooms sein, interaktive Produktkataloge oder generell Anwendungen im Bereich Customization.
Ich würde sogar noch einen Schritt weiter gehen. Denn, ganz ehrlich: Showrooms sind nett, aber keiner will in einen Showroom gehen, wo wir nur einen Stapel Visitenkarten oder ähnliches präsentieren. Was wollen wir aber? Wir wollen ‚virtuelle Haptik‘. Je komplexer Printprodukte werden, je komplexer Verpackungen, Bücher, Brandbooks und ähnliches werden, desto mehr brauchen wir eine Virtualisierung, bevor ein Produkt fertig ist. Ich stelle mir also vor, wie ich in eine virtuelle Onlinedruckerei gehe – vorher mein PDF hochlade – und dann dort praktisch durch mein Magazin blättern, es umdrehen kann. Ich kann zwar nicht daran riechen, aber man kann es quasi ‚anfassen‘, oder die Verpackung aufbauen und anfassen. All das sind Welten, die wir brauchen.
Wer neugierig auf noch mehr Details zum Metaverse ist, der sollte sich den Vortrag von Björn Ognibeni auf dem Online Print Symposium 2023 noch einmal anschauen:
