Seit Jahren wird das Ende des gedruckten Buches prophezeit. Seit ebenso langer Zeit bieten die Druckerzeugnisse den E-Books Paroli. Ein Ende der Koexistenz ist nicht in Sicht, wie neue Zahlen zeigen.
Nicht nur Branchenkenner und Experten beschworen in der Vergangenheit den Triumph des E-Books – ich mag mich da gar nicht ausschließen. Als einer der ersten Autoren malte sich etwa Stanislaw Lem bereits 1961 eine Zukunft ohne gedruckte Bücher aus. Der polnische Philosoph und Science-Fiction-Pionier ist bis heute bekannt für seine teilweise erstaunlich akkuraten Zukunftsvisionen. In seinem Roman „Transfer“ (im Original „Die Rückkehr von den Sternen“) trifft der Protagonist auf eine Zukunft, wie sie auch heutige E-Book-Fanatiker entwerfen könnten:
„Ich verbrachte den Nachmittag in einer Buchhandlung. Dort gab es kein einziges Buch. Das Geschäft glich einem elektronischen Labor. Die Bücher waren Kristalle mit aufgezeichneten Inhalten. Sie konnten mit Hilfe eines „Optons“ gelesen werden, das einem Buch ähnelte, aber nur eine einzige Seite zwischen den Deckeln hatte. Bei Berührung tauchten die weiteren Seiten des Textes nacheinander darauf auf.“
Seit 1961 hat sich am Druck- und Buchmarkt zweifellos viel getan. Die reale Zukunft zeigt sich aber anders als von Lem projiziert: Gedruckte Bücher sind weiterhin deutlich beliebter als E-Books, wie unter anderem das Online-Portal Heise berichtet. Besonders Deutschland wird seinem Ruf gerecht, besonderen Wert auf die gedruckte Manifestation von Wissen zu legen: Während laut einer Umfrage nur 10 Prozent der Befragten im vergangenen Jahr ein E-Book gekauft haben, kauften 58 Prozent ein Buch aus Papier.
Deutschland ist in dieser Statistik aber kein in der Vergangenheit verhafteter Exot, sondern spiegelt den globalen Trend wider. Selbst in Ländern, wo die Verkäufe fast gleichauf sind, konnten mit gedruckten Büchern etwas höhere Absatzzahlen erzielt werden, etwa in China: Hier kauften 32 Prozent der Befragten ein gedrucktes Buch und immerhin 24 Prozent ein elektronisches.
Unabhängig vom Kontinent bleiben gedruckte Bücher beliebt. In allen zehn in der Studie untersuchten Länder fallen die E-Book-Verkäufe hinter denen der gedruckten Bücher zurück. Nach den einigermaßen ausgeglichenen Zahlen für China folgen bereits die USA mit den meisten E-Book-Käufen in der Gruppe der Befragten (22,7 Prozent) – hier kauften allerdings doppelt so viele ein gedrucktes Buch. In Indien (5,6 Prozent) und Frankreich (7,5 Prozent) wurden im Verhältnis die wenigsten E-Books verkauft, insbesondere in Indien lahmt allerdings auch der Absatz von gedruckten Büchern: Nur ein Viertel der Befragten kaufte hier ein Papierbuch.

Natürlich haben E-Books in manchen Bereichen deutliche Vorteile gegenüber Print-Büchern, beginnend beim leichteren Transport: Wer einmal beim Umzug eines belesenen Freundes mit gedruckter Bibliothek geholfen hat, wird sich womöglich mit schmerzendem Rücken daran erinnern. Per einfachem Tippen wird der gewünschte Inhalt verzugsfrei auf das E-Book geladen, außerdem bietet der Speicher genug Platz für abwechslungsreiche Lektüre. Und mal ehrlich, es ist schon schön, auf einem E-Book eine ganze Bibliothek mit in den Urlaub nehmen zu können, statt das Reisegepäck zu überfrachten.
In vielen Bereichen hat aber Print die Nase vorn. Die sinnliche Wahrnehmung beim Umblättern von Buchseiten, die Haptik eines hochwertig gedruckten Einbandes, der von vielen geschätzte Geruch der gedruckten Bücher: All das wird ein E-Book auch in Zukunft nicht leisten können. Nicht in allen Bereichen gibt es aber einen klaren Sieger: Eine gut sortierte Bibliothek und ein modernes E-Book mit allen Schikanen taugen beide als Statussymbol. Beim Einsatz als Deko-Element gibt es für Bücherwände und digitalen Minimalismus gleichermaßen Befürworter.
Nicht einmal in der Science-Fiction gibt es nur die eine Wahrheit: Stanislaw Lem lässt seinen Protagonisten mit Wehmut an die in der Fiktion ausgestorbenen gedruckten Bücher zurückdenken: „Wie ich mich auf Bücher gefreut hatte! Es war aber nicht mehr möglich, in den Regalen zu stöbern, die Bände in der Hand zu wiegen, ihr Gewicht und die Verheißung der schwerfälligen Lektüre zu spüren.“
PS: Ich schreibe diese Zeilen in meiner Bibliothek, umgeben von all den Büchern, die ich liebe – und neben mir liegt mein E-Book-Reader.
