Die Not ist groß in der internationalen Druckindustrie – die Preise sinken, Drucker die bis vor kurzem noch gut dastanden, verlassen den Markt. Klar, Schuld haben die „großen Onlinedrucker“ – aber es gibt auch Gegenstrategien.
„Zipper, du mit Deinem Onlineprint – die machen uns nur die Preise kaputt“ hörte ich jüngst wieder am Telefon. Da ich mittlerweile wohl so etwas wie der „Domian“ (Telefonseelsorger in Radio) für die international leidende Druckindustrie geworden bin, habe ich mich an derartige – meist unerwünschte – Anrufe gewöhnt. (Warum diese jedoch meist abends erfolgen, oder sehr früh morgen erschließt sich mir bis heute nicht…) Und es kommt wie so oft: Ich erhalte am Telefon eine Lektion in Marktwirtschaft. Früher sei alles besser gewesen, man habe auch mal mit dem Wettbewerber das eine oder andere preislich regeln können und überhaupt, warum demontieren die Onlinedrucker denn jetzt endgültig unseren Markt, können die denn nicht da bleiben wo sie herkommen… So oder so ähnlich schallt es mir aus der Höhrmuschel.
Ungeachtet dessen, dass die eine oder andere Äußerung meines Anrufers kartellrechtlich bedenklich sein mag, zeigt mir das Telefonat abermals das hier wohl ein großes Missverhältnis besteht. Denn geht man der Ursache für die Probleme meines Anrufers auf den Grund, zeigt sich – profan analysiert – dass nicht die Onlinedrucker die „Bösen“ sind, sondern die bösen, bösen Kunden. Ein Markt kann nur entstehen wenn auch Nachfrage besteht und offensichtlich befriedigen die vielen Onlinedrucker auf diesem Globus diese Nachfrage. Stellt sich natürlich die Frage warum Kunden von einem klassischen Drucker zu einem Onlinedrucker wechseln. Gehen wir der Sache auf den Grund, sehe ich hier sechs Aspekte:
1. Onlinedruck ist bequem – der Kunde kann wann er will und wo er will, sehr einfach Drucksachen bestellen. 24 Stunden am Tag – 365 Tage im Jahr.
2. Onlinedruck ist oft günstig – mit dem spitzen Bleistift gerechnet sind viele Onlineprinter günstig – manche sogar billig. Das spart für Standarddrucksachen eine Menge Geld.
3. Onlinedruck ist vielfältig – der Kunde kann aus hunderten von Angeboten nach Gusto wählen. Das schafft ein lokaler Drucker nicht.
4. Onlinedruck ist da wo der Kunde ist – der Kunde kann Onlinedrucker in der Situation erreichen in der er grade ist. Egal ob im Hotel um 23:00 Uhr – oder im Taxi – er erhält immer Informationen egal auf welchem Kommunikationskanal.
5. Onlinedruck bietet Preise sofort, während Drucker gerne via Angebot und Fax agieren und damit den Kaufprozess eher verzögern und intransparent machen, bietet der Onlineshop sofort einen Preis.
6. Onlinedruck liefert zeitnah – 24- oder 48-Stunden-Service ist bei den meisten Onlinern normal. Die Wartezeiten bei klassischen Druckern ist oft ein „Show-Stopper“ für Online-Kunden. Haben Kunden einmal einen zeitnahen Service kennengelernt, wollen sie meist darauf nicht mehr verzichten. Klar, aus Bequemlichkeit – kurz: Onlinedrucker haben hier die Bedarfsführerschaft schon längst übernommen.
Alles klar? Doch selbst wenn die „allmächtigen“ Onlinedrucker – die im Grunde ja nur eine zeitgemäße Kommunikationsstruktur wie das Internet zu ihrem Marktzugang nutzen – den Markt gestalten, gibt es durchaus Strategien, die dem klassischen Drucker aus dem Dilemma helfen könnten. Aber er muss auch wollen. (Sie wissen ja: „Ich-kann-nicht“ wohnt in der „Ich-will-nicht“-Straße)
Ausgangspunkt ist zunächst einmal die Selbstprüfung, sprich: der Drucker muss seine Produktion und seine Systeme optimieren und notfalls erneuern. Oft ist hier eine Renovierung notwendig. Ohne ERP (MIS), ohne gescheiten Internetzugang und einer „reformierten Produktion“ (= kostenoptimierte Produktion) im Verbund unter Verzicht auf den neuen 7er BWM als Dienstwagen, geht nichts. Nur eine neue Maschine hilft hier wenig – es muss ein Zugang zum Austausch von Daten vorhanden sein, der es ermöglicht Aufträge von anderen Druckern annehmen zu können. Und schon könnte es losgehen mit der Umsetzung einer Überlebensstrategie.
Ein Markt kann nur entstehen wenn auch Nachfrage besteht und offensichtlich befriedigen die vielen Onlinedrucker auf diesem Globus diese Nachfrage. Stellt sich natürlich die Frage warum Kunden von einem klassischen Drucker zu einem Onlinedrucker wechseln.“ – Bernd Zipper
Hier können sich folgende Strategiepfade anbieten (Bitte wählen Sie … am besten alle!):
a) Finden Sie „Ihre“ Nische! Während das Dilemma des normalen, nennen wir ihn analogen, Druckers im Wesentlichen in den sechs oben genannten Punkten liegt. Ist das Problem des Onlinedruckers dass er nicht alles selbst umsetzen kann. Onlinedrucker sind auf Standardprodukte angewiesen. Sicher, in nicht allzuferner Zukunft wird auch das vorbei sein, aber im Moment jedenfalls sind analoge Drucker, die Nischenprodukte gut und schnell herstellen können, gefragte Partner für Onlinedrucker. So können einige Nischen basierend auf der Falzart (siehe mein Posting über faltplandruck.de), der Druckart (letterjazz.com) oder des Produktes (bierdeckel-fritz.de) aufgebaut werden. Auch besondere Bindungen, spezielle Veredelungen oder gar neue Services usw. können helfen Spezialist in „Ihrer“ Nische zu werden.
b) Kooperieren Sie! Drucker die Produkte besonders gut oder besonders günstig umsetzen können sind potentielle Partner für große Onlineprinter. Na gut, wenn die Bedingungen (siehe oben) stimmen.
c) Partnern Sie! Wenn Sie einen kleineren Onlinedrucker im Umfeld kennen oder persönliche Beziehungen haben: Traun Sie sich und gehen Sie eine Partnerschaft ein. Durch räumliche Nähe können Sie Lieferzeiten optimieren oder gar auf ein Minimum reduzieren, das gibt Ihnen Luft im Online-Print-Rennzirkus.
d) Werden Sie transparent! Ja, der Wettbewerb soll KEINE Preisinformationen über Ihre Produkte bekommen. Und, ja, der Wettbewerb kennt sicher nicht die Einstellungen IhresTop-aktuellen Sammelhefters (…ist ja schließlich ein Betriebsgeheimnis seit Jahrzehnten). Glauben Sie wirklich, dass da noch irgendwer im Markt erfolgreich ist der nicht selbst eigene Rezepte hat? Glauben Sie wirklich dass Ihre Geheimnisse die Schlacht entscheidet? Wohl kaum. Was aber – selbst wenn Sie kein Portal oder einen Onlineshop haben – Ihren potentiellen Kunden interessiert ist, was Sie können und was es ihn kostet.
e) Werden Sie schneller! Angebote per Fax waren vor 20 Jahren eine feine Sache. Gut, der Kollege ist grad beim Mittagessen oder gar beim Kunden – das interessiert Ihren potentiellen Kunden aber nur wenig, denn er bekommt beim Wettbewerb alles auf Knopfdruck. Verkürzen Sie die Zeit zwischen Anfrage und Angebot.
f) Schalten Sie ab! Wenn Sie noch „alte Software“ nutzen – also zum Beispiel irgendwelche rückständigen „Datenannahmeportale“ von einem Top-innovativen Druckmaschinenhersteller, prüfen Sie ob die noch zeitgemäß sind. Manchmal ist es besser Daten via Dropbox oder Box anzunehmen um dem Kunden zu zeigen, dass man gut aufgestellt ist… Alter Softwareplunder gehört in den ewigen Softwarehimmel!
g) Rüsten Sie auf! Nein, nicht mit einer neuen Maschine, sondern mit einem gescheiten MIS und einer schnellen Internetleitung gewinnen Sie Kontrolle über Kalkulation und Datentransfer. Unabdingbar, selbst wenn Sie nicht online gehen möchten.
h) Kaufen Sie besser ein! Klar, der Kollege der Ihnen die Buchbindearbeiten abnimmt ist echt ein Netter… Aber bekommen Sie auch die besten Preise? Dies gilt es r-e-g-e-l-m-ä-ß-i-g zu prüfen. Papier zu teuer? Dann kooperieren Sie doch bitte mal mit Ihrem lokalen Wettbewerber und tun Sie sich zusammen.
i) Lernen Sie! Niemand ist zu alt oder zu arm um zu lernen. Es gibt zahlreiche Workshops und Seminare für E-Business und E-Commerce. Nutzen Sie diese Veranstaltungen selbst wenn sie nicht speziell für Drucker sind. So lernen Sie die Denkweise und die Tonalität der Onliner und das hilft Ihnen die Konzepte der Online-Community zu verstehen.
j) Holen Sie Jüngere ins Boot! Viele Entscheider in der Druckindustrie sind so massiv verunsichert, dass sie nicht mehr wissen, was sie wie entscheiden sollen. Unkenntnis, ein Schuss Faulheit und die pure Verzweiflung will man natürlich niemandem zeigen – vor allem den Mitarbeitern nicht (… man ist ja schließlich der Herr Unternehmer). Ändern Sie dies – arbeiten Sie mit den Leuten in Ihrem Unternehmen zusammen die das heftigste Handy haben oder die auf ebay Powerseller sind – und lernen Sie diese Kräfte zum Wohl Ihres Unternehmens einzusetzen.
k) Digitaltransformation ernstnehmen! Auch Drucker (also die an der Maschine) brauchen eine E-Mail-Adresse, auch Mitarbeiter in der Logistik sollten täglich (!) informiert werden was in einem Unternehmen im Umbruch passiert. Also nehmen Sie sich ein Herz und überlegen Sie wie Sie die Kommunikation in Ihrem Unternehmen verbessern und wie Sie das Thema Digitaltransformation angehen. Klar, Industrie 4.0 ist ein tolles Stichwort, aber wenn Ihre Antwort ist: „Das machen wir in der Druckindustrie schon lange“, dann überlegen Sie mal was Sie selbst davon wirklich machen.
Diese Vorschläge sind sicherlich nicht der Weisheit letzter Schluss, aber ein Anfang. Und ein guter Anfang dazu. Was mich übrigens nur bedingt begeistert sind irgendwelche Allerwelts-Shops die noch hundert andere Drucker nutzen. Ohne ein eigenes Profil mit einem eigenen Auftritt ist ein vertraglich langfristig gebundener Onlineshop, der nicht wirklich schön ist, leider kein Rezept für eine geeignete Gegenstrategie. Drum prüfe, wer sich ewig bindet.
Na ja – und dann wieder zurück zu dem Drucker der einfach mal am Telefon „Dampf ablassen“ wollte: In dem Moment in dem ich ausholte und ihm erklärte was er alles an sich und seinem Unternehmen meiner Meinung nach ändern sollte, hatte er wohl keine Lust mehr. Ich selbst kann nur an all die „ratlosen Drucker“ da draußen in der Welt sagen: Fangt endlich an was zu ändern, dann klappt‘s auch mit dem neuen 7er 😉
PS: Wenn Sie mich auch anrufen möchten um ggf. über diesen Blogbeitrag „Dampf abzulassen“ – dann können Sie das am besten montags tun, an meinem Bürotag. 0049201811750 ist die Nummer, und wenn Sie MORGENS anrufen, hab ich auch meistens gute Laune.
Discussion7 Kommentare
Naja ich kann nur von den Preisstrukturen hier in der Schweiz reden. Aber hier sind die Onliner zum Teil wirklich um bis zu 70% günstiger als die – ich nenn es jetzt mal – die klassischen Druckereien.
Ein gutes Beispiel ist das Drucken eines a4 in farbig – sagen wir ein kleinen flyer – wenn ich bei einem normalendrucker pro blatt 2 CHF bezahle und dann bei einem onliner nur knapp 0.40 CHF dann ist bei mir der fall klar und ich will gar nicht von spezialwünsche reden ein normaler drucker arbeitet meistens nach preisliste und was nicht drinn steht wird nicht verkauft – ich habe noch nie eine online druckerei erlebt die nicht auf meine spezialwünsche eingegangen ist…
die ganze diskussion erinnert mich an das gejammere der tourismus industrie – wo man die entwicklung verschlafen hat und nun die gäste wegbleiben und ins bessere östereich/deutschland abwandern um ferien zu machen…
wer ein business hat und sich nicht regelmässig dem markt anpasst – muss sich nicht wundern wenn er vom markt vergessen wird…
Sehr schöne Zusammenfassung der Situation vieler Drucker und grundsätzlich gute Lösungsansätze für Veränderungen. Aus meiner Erfahrung sehe ich jedoch wenig Überlebenschancen für viele Druckbetriebe. Der Mensch ist ein Gewohnheitstier und wie mir scheint, die meisten Drucker im Besonderen. Bereits vor über 16 Jahren habe ich versucht, Druckbetriebe vom Online-Vertrieb zu überzeugen, doch was ich in der Regel zu hören bekam, brauche ich hier nicht zu schreiben.
Die großen Veränderungen in der Branche kamen von Leuten, die nicht direkt aus dem Druckbereich stammen und unvoreingenommen neue Wege beschritten, sei es z. B. Einsatz des Digitaldrucks oder den Online Vertrieb. Es gibt viele tolle Betriebe, die gute Arbeit leisten. Marketing (Darstellung,Fokussierung, Vertrieb, … ) ist eine Disziplin, für die es den Blick eines Außenstehenden bedarf. Auch der Vorschlag, sich junge Menschen in den Betrieb zu holen, die mit dem Internet aufgewachsen sind und wissen, wie man mit Kunden über dieses Medium kommuniziert, halte ich für sehr wichtig.
Wer Neukunden akquirieren möchte, wird dies im Internet über einen „normalen“ Gemischtwaren-Online-Shop praktisch nicht mehr erreichen. Die Fokussierung auf die Stärken ist der erste Schritt. Das muss nicht zwangsläufig ein besonderes Produkt sein, auch die Ansprache einer Zielgruppe (z. B. Baumschulen, Modehäuser, …) ist ein guter Aufhänger. Wer seine Zielgruppe kennt, die Bedürfnisse bedienen kann und Experte auf seinem Gebiet ist, wird so schnell nicht arbeitslos.
Es bleibt in jedem Fall spannend.
Sehr guter Artikel. Ehrlich und kein Blatt vor dem Mund nehmend. Auch sind viele gute praktische Tipps für die Analogen drin mit denen man sich der umgebenden Disruption erwehren und Kompetenz aufbauen könnte….wenn man sich nur mal auf den Weg aufmachen würde. Denn der Weg ist auch das Ziel. Also sind die verbalen aber gutgemeinten Arschtritte im Text nötig. Besonders gut hat mir gefallen: Seien sie transparent,wenn sie keine Ahnung haben und reden sie darüber mal mit ihren Mitarbeitern,die das heftigste Handy haben ?
Ich würde folgenden Gedanken ergänzen:
Erstens – Wir Kunden sind in bestimmten Produktkategorien weniger anspruchsvoll als früher.
Der Fokus hat sich durch die Digitalisierung der Gesellschaft verschoben. Das wird sich nicht mehr ändern. Wichtiger als das Produkt ist heute die „digitale Exzellenz“ – Webshops aus dem letzten Jahrtausend… tausende von Produktvarianten… blickende Werbeflächen. Leute – Würde das Interface vom iPhone so aussehen… es würde in den Müll fliegen.
Zweitens – Die fachliche Exzellenz der meisten Drucker geht an mir vorbei – Weil ich den Shop, die Webseite nach wenigen Sekunden schließe. Nichts geht mehr ohne digitaler Präsenz, Exzellenz und kundenzentriertem Denken. Das Produkt ist das digitale und reale Gesamterlebnis des Kunden. Am Ende steht das Druckprodukt. Am Ende! Am Anfang steht der digitale Kunde mit Erwartungen. Von diesem Wandel könnten einige Unternehmen ein Lied singen. Leider gibt es sie nicht mehr, trotz jahrzehntelanger fachlicher Exzellenz: Nokia, Kodak und Co. – Vom Markt weggewischt durch Unternehmen mit besseren Kundenerlebnissen.
Drittens – Es wird zu sehr im klassischen eCommerce-Geschäftsmodell (Onlineshop) gedacht. Es lohnt die Augen zu öffnen und alternative Modelle zu adaptieren und zu überdenken. Ein Impuls? Der Modemarkt ist heiß umkämpft. Die Margen sind im Keller. Die Kosten zur Akquise von Kunden immens. Der Shop-Betrieb mörderisch. In diesem Umfeld schafft es ein Unternehmen pro Kunde und Jahr 1.800,- EUR Umsatz zu erzielen. Und zwar mit Produkten, die woanders deutlich teurer sind und einfacher verfügbar sind (z.B. Amazon). Die Rede ist von „Outfittery“, das eCommerce-Modell ist „Curated-Shopping“. Kein Onlineshop, sondern ein smartes eCRM, eine Webseite als Zugang zur Dienstleistung. Verkauft wird kein Produkt, sondern Beratung und Hilfe. Am Ende des digitalen Prozesses sitzen Berater, die mit Hilfe digitaler Kundendatenbanken ein perfektes Gesamterlebnis liefern. Der Ausgangspunkt – Kunden mit starken Bedürfnissen in stilistischer Beratung.
Hallo Bernd,
was heißt denn „Ohne ERP (MIS)“? Was möchtest du denn damit sagen? ERP und MIS sind ja völlig verschiedene Systeme.
„Ohne ERP (MIS), ohne gescheiten Internetzugang und einer „reformierten Produktion“ (= kostenoptimierte Produktion) im Verbund unter Verzicht auf den neuen 7er BWM als Dienstwagen, geht nichts.“
Jepp. Du hast natürlich Recht – aber ERP-Systeme werden in der Druckindustrie (also der klassischen) seit Jahren als MIS verkauft.
Richtig ist: Print bleibt uns erhalten. Richtig ist auch: aber anders. Falsch ist: Digitalisierung lässt sich aufhalten und Falsch ist auch: Deutschland ist Vorreiter der Digitalisierung. Und das gilt für alle Branchen, nicht nur ein Drucker Problem.